Also doch nochmals Fasnacht. Die “Basler Bebbi” haben mit ihrem Sujet “Free Willy Riot” die verlogene “Solidarität” des Westens mit der russischen Punk-Band “Pussy Riot” aufs Korn genommen – und wurden genau wie diese verurteilt. Lärmklagen an der Fasnacht? Wir schauen genauer hin.
Zur Erinnerung: die russische Punk-Band Pussy Riot ist in einer russisch-orthodoxen Kirche vermummt in den Chor gestanden und hat “Luft-Punk” gespielt (Link zum Clip). In der stillen Kirche war der Effekt lauter als ein voll aufgedrehter Gitarren-Verstärker. Die Musikerinnen wurden verhaftet, wegen Gotteslästerung angeklagt, ins Gefängnis gesteckt – und im Westen ging eine beispiellose “Solidaritäts”-Kampagnge “Free Pussy Riot” los. Im Fokus dieser “Solidarität”: böser Putin, böse Kirche, und überhaupt! Die Punk-Band stand in Kürze für alle Arten von gesellschaftlichen Repressionen.
Der Bebbi-Zug

Und was haben die Basler Bebbi nun gemacht?
Aus “Pussy” wurde “Willly” – übersetzt haben sie aus “Fotzen-Lärm” “Schwanz-Lärm” gemacht. Durch die Verbindung mit dem Film “Free Willy” haben viele diese sexuelle Anspielung gar nicht verstanden (wohl zum Glück der Bebbi 🙂 )…
Im Zentrum des Zuges stand eine Punk-Band hinter Gittern, in den Pussy-Riot-Kleidern natürlich, welche laut Punk-Klassiker spielten, und dahinter eine Reihe überdimensionaler Bebbi-Haie, welche als Publikum dazu abrockten – und so sah das aus.
Als Abschluss dann eine fahrbare Bar, an der gelangweiltes High-Society-People ihre Cüpli schlürften – Sinnbild für eine gelangweilte Gesellschaft, der “Solidarität” nur als sexy Anmach-Haltung dient.
Bis an die Schmerzgrenze konsequent

Die Basler Bebbi haben ihr Sujet gnadenlos konsequent umgesetzt, bis an die Schmerzgrenze. Sie haben die Verlogenheit der westlichen „Solidarität“ mit dem politischen Protest der russischen Punk-Band wunderbar blossgestellt (und die wehleidigen Lärmklagen bestätigen das eindrücklich).
Pussy Riots Sakrileg, in einer orthodoxen Kirche lauten Punk zu spielen, haben die Bebbi mit dem Sakrileg „lauter Punk auf dem Cortège“ aufgenommen. Dazu wurden verschiedene moralisch aufgeladene Ebenen moralisch vermischt und damit in Frage gestellt: Sakrileg weit weg („gut“) – Sakrileg bei uns („böse“); Solidarität („gut“) – Lärm („böse“); vulgäre Frauen-Sprache („Pussy – gut“) – vulgäre Männer-Sprache („Willy – schlecht“); Engagement mit Grimm („gut“) – mit Spass („schlecht“).
Und was für ein Gegensatz zu den Idioten an der Laternenausstellung, welche ohne Larven in Liegestühlen liegend lauten Mallorca-Sound laufen lies: während diese nur sich selber inszenierten (auch zu meinem grossen Ärger), war der Lärm bei den Bebbi DER Knackpunkt, den das Sujet brauchte, um zu wirken – und deshalb eben KEINE „Provokation um der Provokation willen“, sondern bissiger Fasnachtsgeist in Hochform. (Übrigens: schon mal in der Nähe eines Piccolos gestanden? Keine Trommel und auch die Bebbi haben nicht die 140dB erreicht, die ein Piccolo gefährlicher für die Ohren macht als ein Rockkonzert…).
…und bis zum Schluss humorvoll

Und nun also das: Lärmklagen (an der Fasnacht!). Die Reaktion der Bebbi: ein herrzerreissend-sarkastisches Schuldbekenntnis (hier nachzulesen: Offener Brief BBB).
“Wir haben gesündigt, weil wir nicht stricken können” – so beginnt der Offene Brief in Anspielung auf die banalen Sujets. Mit “wenn wir Sujet sagen, dann meinen wir auch Sujet” hört der Brief ernsthaft auf. Schneidender Sarkasmus, natürlich, und der zentrale Satz ist eben dieser: “Verständlicherweise ist Lärm in einem anderen Heiligtum weit weg weitaus verträglicher, als Lärm im eigenen Heiligtum.” – Fasnacht darf kein “haillos haimeliges Museum” sein. Das meinen die Basler Bebbi. Sie sprechen den poetischen, leisen Momenten nicht die Daseins-Berechtigung ab. Aber sie wehren sich zurecht dafür, dass die Sujets an der Fasnacht weh tun müssen, um die Basler Fasnacht davor zu bewahren, zu einem Nordwestschweizer Ballenberg zu werden.
Grosse Fasnacht

Klar: die Wirkung des Bebbi-Sujet lebt gerade auch davon, dass nur wenige Cliquen ihre Sujets bis an die Grenze ausreizen, sondern vor allem brav bleiben und niemandem weh tun wollen.
Aber die Bebbi haben die Grenzen im Dienst ihres Sujets überschritten. In meinem Umfeld waren die Reaktionen durchweg positiv.
Fasnacht, die nicht mehr an die Grenzen geht, ist nur noch pure Folklore und bereits tot.
Deshalb sind Cliquen wie die Kuttlebutzer oder die Harlekin, welche mit ihren Sujets einen Nerv treffen und am Cortège ausgebuht werden („dasch käi Fasnacht!“), die eigentlichen Retter der Fasnacht.
Das verlogene „free pussy riot“ in unserem Land – die Bebbi haben den einzigen authentischen Weg gewählt, dieses Sujet umzusetzen.
Grosse Fasnacht ist das.
Daaaaaaaaaanke für die klaren und klugen Worte!!!!!! ich sehe das ganz genauso!Bettina Dieterle
messerscharf und punktgenau analysiert und richtig eingeordnet… perfekt – chapeau!