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Wen würde Jesus wählen?

Als Christ begegnet man gelegentlich dieser Frage, manchmal mit einem ironischen Unterton, manchmal durchaus ernst gemeint: Was würde Jesus tun?

Vor den Wahlen sei es darum – mit einem Augenzwinkern – gewagt: Welche Partei würde Jesus wählen? Die Basta, weil sein gleichberechtigter Umgang mit Frauen damals skandalöse Avantgarde war? Würde er CVP (oder EVP) wählen, weil sie seinen Namen beziehungsweise seine Botschaft im Namen tragen? Die FDP, weil seine Gleichnisse oft im wirtschaftlichen Bereich spielen? Oder die Grünen, weil sie sich für seines Vaters Schöpfung einsetzen? Die Grünliberalen, weil sie Schöpfung und Freiheit zu verbinden suchen? Oder die LDP, weil Jesus sich über sinnentleerte Gesetze hinwegsetzte – «Das Gesetz ist für den Menschen da, nicht umgekehrt»? – Würde Jesus die SP wählen, weil er fairen Umgang miteinander («Bei euch aber soll es nicht so sein…») und mitmenschliches Engagement als Killerkriterium für «das letzte Gericht» nannte? Oder die SVP, weil auch Jesus gerne provozierte, um etwas zu bewirken? Oder hätte Jesus die Wahlen boykottiert? Wäre Politik für ihn ein rein «weltlich» Ding, nicht zu beachten? Sollte die Kirche sich letztlich daran halten?

Als Theologe finde ich: Die Kirche sollte keine Parteipolitik machen, um sich in politische Diskussionen umso unabhängiger und auf Augenhöhe einzubringen. Lange hat die Kirche vom hohen Moralross hinab politische Meinungen verordnet. Einige Gläubige möchten diese Kirchen-Politik restaurieren: «Ich sage, was Du wählst, und wenn Du eine andere Meinung hast, dann bist du nicht mehr Christ.» Gott sei es gedankt, diese «Politik» wird von niemandem mehr ernst genommen.

Politisches Engagement kann heute jedoch funktionieren, wenn die Kirche den Menschen und ihren Haltungen als Partnerin (statt als Schulmeisterin) begegnet. Und eigentlich muss sie nur tun, was zu einer seelsorglichen Schlüsselkompetenz gehört: Wenn sie hinhört. Wenn sie die Motivationen, Argumente, Ängste und Sehnsüchte der Menschen annimmt und sich mit offenem Visier einbringt – dann hat die Kirche etwas zu sagen, dann hört man ihr zu.

Auf dem Spielfeld der Öffentlichkeit tun wir das noch ungelenk, trauen uns diese Offenheit mit anderen Meinungen oft nicht zu und bleiben in der Komfortzone der Kirchenmauern. Bewegen wir uns jedoch auch «extra muros» zu den Menschen, wo sie in Alltag und Freizeit leiden und sich freuen, wo sie ihre Emotionen und Leidenschaften leben und ausleben, dann erlebe ich die Kirche als sehr gefragt. Auch wenn es noch Muskelkater gibt, der auf ungewohnte Bewegung unweigerlich folgt.

Zum Glück haben wir einen hervorragenden «Vorturner»: Papst Franziskus himself. Er fordert das offene Gespräch ohne Hidden Agenda, und vor allem: Er selber lebt vor, dass Bewegung zur Begegnung besser ist als verdeckte Machtspiele, offenes Reden besser als Intrige, die Umarmung eines Flüchtlings besser als das Selfie mit einem Würdenträger. Zum Schluss wollen Sie mich vielleicht festnageln: «Na gut, aber wen wählen Sie denn jetzt als Kirchenmensch?» – Tja, ich wohne im Baselbiet und kann in der Stadt nicht wählen – OMG!

Und Gott erschuf die Menschen als Mann und Frau – omg!

Wie könnte ich als Theologe über Gender schreiben? Hm. Ich tue, was für einen Theologen auf der Hand lieg, ich nehme die Bibel zur Hand. Und stosse gleich am Anfang auf einen ernsten Befund.

Gott hat die Menschen als Mann und Frau geschaffen. Zwei Sorten Menschen also. Wäre es nicht einfacher, wenn es nur ein Geschlecht geben würde, mit einer Stimme? Gott hat die Uneindeutigkeit offenbar gleich selber ins Spiel gebracht, als Erfinder des dualen Systems quasi.

Und auch wo Gott keine Rolle mehr spielt, bleibt beim „darwinistischen Entwicklungsvorteil“ die Erkenntnis gleich: Gott und die Biologie halten Diversität offenbar für die erfolgreichste Lösung.

Die ersten fünf Bücher der Bibel bestehen sogar aus drei ineinander geschachtelten Schriften, die über den „Anfang der Zeit und der Geschichte des Volkes Israel“ berichten. Noch mehrstimmiger ist das Neue Testament: Gleich vier Versionen von Jesu Leben gibt es, mit eigenen Schwerpunkten und eigenen Zielgruppen. Keines der vier Evangelien ist das übergeordnete „Leitevangelium“, jede Variante hat ihren eigenen Wert, die Mehrstimmigkeit macht die „Gute Nachricht“ reicher, farbiger, fruchtbarer.

Die ganze Bibel schliesslich umfasst über 70 Bücher aus mehr als 400 Jahren, da gibt’s Romane, Liedtexte, Biographien, Weltuntergangsdramen, Gedichte, Gesetzessammlungen. Die Bibel, eine einzige Patchwork-Familie.

Und erst das macht die Bibel „heilig“. Denn darüber herrscht Einigkeit: nur weil die Bibel vielstimmig und oft kontrapunktisch redet, nur weil sie vielfältige Variationen erzählt, wie Menschen glauben, lieben und gerecht sein können: Nur darum hat sie erfolgreich überlebt – und wie! Die Bibel als einstimmiges Einparteienprogramm wäre innert Kürze vom Erdboden verschwunden.

Die Kirchen haben dieses Prinzip der Vielfalt sogar in das Dogma von Gott selber übertragen: Gott, Jesus und der Heilige Geist, sie reden jeweils auf unterschiedliche Weise und sind doch eins. Gott als Erfinder des Föderalismus sozusagen, erfolgreiche Einheit dank der Vielfalt.

„Einheitsübersetzung“ heisst übrigens die offizielle römisch-katholische Version der heiligen Bibel-Bibliothek. Vor kurzem wurde sie von dutzenden von katholischen Priestern, Theologen und Theologinnen neu übersetzt.

Und nun heisst die Kollegin des Apostels Andronikus wieder „Apostolin Junia“ (statt „Apostel Junias“). Quasi eine Geschlechts-Rückverwandlung in ihren ursprünglichen von Gott gegebenen Zustand als Frau und Apostolin. Junia war also eigentlich immer eine Frau, wurde aber lange als Mann wahrgenommen, weil sich die Gesellschaft keine weibliche Apostolin vorstellen konnte. Jetzt darf Junia wieder Frau sein, weshalb es nun amtlich ist, dass auch Frauen Apostolinnen waren. Ein anderer Übersetzungs-Fehler wird vorderhand erst in einer Anmerkung erwähnt, wohl weil er einfach zu prominent ist: Nämlich dass es „junge Frau Maria“ heissen müsste statt „Jungfrau Maria“.

OMG – jetzt habe ich meine Zeichenzahl aufgebraucht und immer noch nicht über Gender geschrieben. Oder doch?