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Lieber Hüsnü
Ein Leserbrief an Hüsnü Haydaroglu anlässlich seiner Lebensberatung-Serie “Hüsnü hilft” in der BZBasel⇒.
Ich muss Dir mal schreiben. Der Herr Chefredaktor hat Deine Lebensberatung an den Wochentag vor der Kirchen-Kolumme „Oh My God!“ gesetzt, und ich finde: Das passt.
Aufgegangen ist mir das, als Du über Gott geschrieben hast. Die Menschen sollen Gott nicht nach einem neuen Natel fragen. Jedenfalls nicht zuerst. Also, man kann das natürlich schon fragen, aber fragt man das einen Freund? Gott ist doch kein Call-Center. Etwa so sagtest Du.
Was für ein schöner Vergleich! Ich glaube, das verstehen viele Menschen sofort, auf jeden Fall dort, wo ich wohne.
Also ich wohne im Oberbaselbiet. Da reden die Leute ein bisschen wie Du, ein wenig klobig und holprig, und einige Basler stören sich ja auch an Deinem „Tiefdeutsch“, so wie sie sich über die Oberbaselbieter als „kulturlose Bauern“ lustig machen.
Aber eben, ich glaube, gerade wir Oberbaselbieter verstehen Dich sehr gut. Die Vergleiche, mit denen Du die Fragen der Leser und Leserinnen beantwortest, sind nämlich aus dem ganz normalen Alltag, wo ein Call-Center vorkommt und verbranntes Essen.
Und ich finde, Du bist auch ein super guter Seelsorger.
Denn wie ein richtig guter Pfarrer hörst Du ganz genau zwischen die Zeilen von dem, was die Menschen Dich fragen. Und dann verstehst Du auch das, was die Menschen nicht gesagt haben, weil sie noch gar nicht wussten, was sie eigentlich meinten, als sie Dich fragten.
Und wie ein guter Seelsorger antwortest Du mit lustigen Geschichten, meist aus Deinem Leben, und Du machst das so, dass man denkt „Ha! Das kenn ich selber auch, das ist mir gerade gestern auch passiert oder vor 25 Jahren und ich weiss es noch genau wie es war!“
Es tönt jetzt vielleicht ein bisschen blöd, und ich sag es trotzdem: wie bei Jesus.
Du schreibst Geschichten, die den Menschen warm geben, weil sie spüren, da hat mich jemand verstanden, wie ich mich selber noch gar nicht verstanden habe.
Einen Unterschied gibt’s aber: Viele von diesen guten Seelsorgern und Seelsorgerinnen würden sich nie getrauen, ihre Gedanken in die Zeitung zu schreiben. Sie hätten Angst, dass man ihnen ganz vieles vorwerfen könnte: „Die ist eine Selbstdarstellerin!“ – „Der sagt das, ohne dass er seinen Chef zuerst gefragt hat!“ – „Diese Worte schreibt man anders!“ – „Die Beispiele sind für die Kirche zu banal!“, und so weiter.
Und diese Kolleginnen und Kollegen haben noch eine andere Angst, die ist gleichzeitig das Gegenteil und das Gleiche: Nämlich, dass Menschen ihnen die Kritik nicht direkt sagen, sondern hintenherum böse über sie reden, damit sie sich nicht wehren können. Das gibt’s! Also diese Angst, meine ich.
Nicht alle haben nämlich so eine coole Sonnenbrille und einen mächtigen Schnauz, wo jede Kritik einfach abblitzt. Und das ist schade, weil Viele super gute Zuhörer sind und tolle Geschichten erzählen könnten.
Für mich bist Du deshalb ein Vorbild. Du ermunterst zum Vertrauen, dass gute Ohren keine Frage der Grammatik sind, und dass eine gute Seele auch in Tiefdeutsch wunderschön reden kann.
Denn bei Deinen Geschichten geht einem oft oft dabei das Herz auf, während der Mundwinkel noch vom Lächeln vibriert.
Dafür danke ich Dir.
Mit vielen Grüssen, Thierry Moosbrugger
Wen würde Jesus wählen?
Als Christ begegnet man gelegentlich dieser Frage, manchmal mit einem ironischen Unterton, manchmal durchaus ernst gemeint: Was würde Jesus tun?
Vor den Wahlen sei es darum – mit einem Augenzwinkern – gewagt: Welche Partei würde Jesus wählen? Die Basta, weil sein gleichberechtigter Umgang mit Frauen damals skandalöse Avantgarde war? Würde er CVP (oder EVP) wählen, weil sie seinen Namen beziehungsweise seine Botschaft im Namen tragen? Die FDP, weil seine Gleichnisse oft im wirtschaftlichen Bereich spielen? Oder die Grünen, weil sie sich für seines Vaters Schöpfung einsetzen? Die Grünliberalen, weil sie Schöpfung und Freiheit zu verbinden suchen? Oder die LDP, weil Jesus sich über sinnentleerte Gesetze hinwegsetzte – «Das Gesetz ist für den Menschen da, nicht umgekehrt»? – Würde Jesus die SP wählen, weil er fairen Umgang miteinander («Bei euch aber soll es nicht so sein…») und mitmenschliches Engagement als Killerkriterium für «das letzte Gericht» nannte? Oder die SVP, weil auch Jesus gerne provozierte, um etwas zu bewirken? Oder hätte Jesus die Wahlen boykottiert? Wäre Politik für ihn ein rein «weltlich» Ding, nicht zu beachten? Sollte die Kirche sich letztlich daran halten?
Als Theologe finde ich: Die Kirche sollte keine Parteipolitik machen, um sich in politische Diskussionen umso unabhängiger und auf Augenhöhe einzubringen. Lange hat die Kirche vom hohen Moralross hinab politische Meinungen verordnet. Einige Gläubige möchten diese Kirchen-Politik restaurieren: «Ich sage, was Du wählst, und wenn Du eine andere Meinung hast, dann bist du nicht mehr Christ.» Gott sei es gedankt, diese «Politik» wird von niemandem mehr ernst genommen.
Politisches Engagement kann heute jedoch funktionieren, wenn die Kirche den Menschen und ihren Haltungen als Partnerin (statt als Schulmeisterin) begegnet. Und eigentlich muss sie nur tun, was zu einer seelsorglichen Schlüsselkompetenz gehört: Wenn sie hinhört. Wenn sie die Motivationen, Argumente, Ängste und Sehnsüchte der Menschen annimmt und sich mit offenem Visier einbringt – dann hat die Kirche etwas zu sagen, dann hört man ihr zu.
Auf dem Spielfeld der Öffentlichkeit tun wir das noch ungelenk, trauen uns diese Offenheit mit anderen Meinungen oft nicht zu und bleiben in der Komfortzone der Kirchenmauern. Bewegen wir uns jedoch auch «extra muros» zu den Menschen, wo sie in Alltag und Freizeit leiden und sich freuen, wo sie ihre Emotionen und Leidenschaften leben und ausleben, dann erlebe ich die Kirche als sehr gefragt. Auch wenn es noch Muskelkater gibt, der auf ungewohnte Bewegung unweigerlich folgt.
Zum Glück haben wir einen hervorragenden «Vorturner»: Papst Franziskus himself. Er fordert das offene Gespräch ohne Hidden Agenda, und vor allem: Er selber lebt vor, dass Bewegung zur Begegnung besser ist als verdeckte Machtspiele, offenes Reden besser als Intrige, die Umarmung eines Flüchtlings besser als das Selfie mit einem Würdenträger. Zum Schluss wollen Sie mich vielleicht festnageln: «Na gut, aber wen wählen Sie denn jetzt als Kirchenmensch?» – Tja, ich wohne im Baselbiet und kann in der Stadt nicht wählen – OMG!