Ein Klassiker und die andere Seite der Medaille

Dienstag, 23.7. Wieder mal Patent Ochsner: “S chunnt aebe so wie s chunnt und so wie s chunnt chunnts aebe guet.” – Der Weg vom Delta in den Norden.
Frühmorgens steigen wir ins Boot, das uns aufs Festland bringt. Von dort fahren wir nochmals durch die traumhaften Delta-Kanäle und dann nach Hause. In Rumänien heisst das: nach Miroslovesti zu Ionel und seiner Frau Maria. Elishas grässlicher Sonnenbrand hat leicht nachgelassen, und auch Ionel selber macht nach seiner Magenverstimmung wieder Witze.
Rumaenisches Deja-Vu
Die Witze vergehen uns jedoch, als wir das Auto starten wollen. Tot. Ich war mir zwar ganz sicher, alles kontrolliert zu haben, als wir das Auto hier abgestellt hatten, aber was nützts, die Chance ist wohl trotzdem am grössten, dass ich irgendetwas angelassen hatte, das die Batterie total entlud.
Überbrückungskabel hat niemand der Rumänen hier im Auto, Anstossen geht nicht.
Ich suche die Notfall-Nummer der Autovermietung heraus und ernte rundherum Gelächter: „Da könntest Du geradesogut in die Schweiz anrufen, die wären schneller hier als die Rumänen.“ …und dann hab ich ein Déjŕ-Vu. Als wir vor 7 Jahren Ionels Auto während zwei Wochen ausgeliehen bekamen, haben in der Zeit sicher vierundzwanzig Menschen mal am Motor etwas herumgebastelt, weil immer wieder mal was nicht funktionierte… und auch jetzt stecken fünf Rumänen ihre Köpfe unter die Motorhaube und diskutieren angeregt „ichweissnichtwas“, es geht so schnell und angeregt, dass ich keine Chance habe, etwas zu verstehen.
Was man bei uns nie tun sollte…
Dann beginnt Nelu die Kabel ab der Batterie zu schrauben, und Dani holt zu meinem Schrecken die Batterie aus seinem Boot, während ein weiterer Rumäne etwas kabelähnliches heranführt. Zuerst versuchen sie den Dacia mit der Boots-Batterie zu starten und dann schnell die Batterie-Kabel an die Auto-Batterie zu transferieren. Starten klappt, aber es hängt zu viel Elektronik an der Autobatterie. Zweiter Versuch, mir stehen die Haare zu Berge: Mit blossen Händen drücken die Rumänen das Kabel auf die Kontakte der Batterien und überbrücken auf diese Weise – und zwar mit Erfolg!
Synergie, praktisch
Und das ist dann eben die andere Seite vom Blog von gestern. Die Rumänen sind „Bastler“, und weil sie immer damit rechnen, dass etwas nicht richtig funktioniert, sind sie auch gut darin, Dinge „irgendwie zurecht zu basteln“. Weil sie sich nie auf institutionelle Hilfe verlassen (können), hilft immer gerade der, der gerade in der Nähe ist.
Beides gehört zusammen. Und wenn Verseni von der Schweizer Hartnäckigkeit profitiert, so profitieren wir Schweizer immer wieder in Situationen wie dieser. So geht Synergie, oder?
Nachtrag:
Auf dem Weg „nach Hause“ fahre ich zum ersten mal seit drei Jahren wieder die grosse Süd-Nord-Achse entlang: soviel neue Gebäude, moderne Läden, Restaurants, fertiggebaute Kirche, Weg-Kapellen, und das alles entlang einer breiten Strasse in bestem Zustand. Eben, da KANN ich nicht anders als das Graffiti vom ersten Abend in Bukarest wiederholen: Totul o sa fie bine…
Nachtrag 2:
Zwei kleine Dinge möchte ich nicht vergessen. In Galati wird die Hügelkette vor der Stadt von einem Monstrum von Stahl-Fabrik-Kombinat beherrscht, das nach den verrostenden Überresten einer gegenseitigen Zerstörungsschlacht der „Transformers“ aussieht. Über drei Kilometer Länge und 200 Meter Höhe türmen sich die verschiedenen braunroten Gebäude, Verbindungen, Rohre etc. – Kein Wunder, heisst der Fussballclub „Otselul Galati“ („der Stahl Galati“).

Und dann, irgendwo zwischen Galati und Bacau, hören wir im Auto ein sehr merkwürdiges „PLOPP“, wie wenn ein einzelner überdimensionierter Regentropfen vom „otsel-blauen“ Himmel auf unser Autodach gefallen wäre. Wir schauen uns um, und da wir nichts entecken, fahren wir unbekümmert weiter. Erst am Abend stellen wir fest: Wir haben ein Stück Auto verloren! Zum Glück ist es „nur“ der vordere Teil des Dachgepäck-Bügels – und dass der einfach so abfällt, ist doch eher überraschend…
Das Potenzial und der Seufzer

Montag 22.7.: Rumänien könnte… aber Rumänien braucht Zeit. Eine Meditation über das Mögliche und das Schwierige.
In diesen Tagen in diesem paradiesischen Ort wird mir wieder bewusst, wie reich das Land Rumänien ist.
Sonne (wir sind auch schon sonnenenergie-betriebenen Strassenlampen begegnet), Wind, Wasser, die Weite der Felder – und natürlich die Naturschönheiten wie das Donau-Delta.
Die Gegend ist so gross, es liegt auf der Hand, hier Erholung und Natur-Erlebnisse anzubieten.
Und tatsächlich: Rund um unsere kleine Appartement-Anlage herum hat es verschiedene „Pensiune“, auf der einen Seite gar ein veritables Luxus-Resort, das ex-Minister Nastase bauen liess.
Rumäniens Aufbruchstimmung ist sichtbar – aber nicht ohne den Seufzer, der so viele gute Ideen in Rumänien begleiten.
Alles ist keine sieben Jahr alt, und wo man genauer hinschaut, zeigen sich deutliche Spuren von Verfall.: Sieht man bei unserem Hotel genauer hin, sieht man die Spuren einer runden Sonnenterasse des Hotels direkt am Wasser – ein wunderbarer Ort für lauschige Abende wäre das wohl. Aber eben: die Terrasse ist zerfallen, die Bretter liegen seither noch am Boden der Ideen-Ruine herum.
Es wirkt immer wie Nachlässigkeit, nach „ach, ist doch egal“, nach fehlendem Willen zum Erfolg. Ob es halbfertige verfallende Bauruinen am Strassenrand oder herabhängende Stromkabel sind, ein abgerissener Dusch-Halter oder ein verrosteter Zaun um die Rasenteppich-Streetball-Anlage des Luxushotels, oder ob es in guter Absicht an vielen Orten drei Abfallcontainer hat, schön in den Nationalfarben blau-gelb-rot, um das Trennen des Abfalls zu vereinfachen: in jedem der drei Container ist alles wild durcheinander.
Ja, so ist das hier. Nach der Realisierung der gute Ideen kommt die eigentliche Arbeit. Doch ich will nicht ins Jammern verfallen. Das alles braucht Zeit. Und es gibt ein riesiges Potenzial. Und vor allem: so viel hat sich schon verändert. Drum also: ein kleiner Seufzer und alles andere abstreifen. Den Hotelchef für schönes Hotel an dieser Stelle loben. Flyer mitnehmen. Innerlich hab ich mir ja schon gesagt: „Hier im Donau-Delta war ich nicht zum letzten mal.“ – Denn kein Ort hat in mir Bali-Feeling geweckt wie dieser Naturschatz in Grün.