Du darfst noch einmal anfangen
Das Jesuskind in der Krippe. Es ist das Weihnachtsbild schlechthin. In Myriaden von Varianten. Viele bei uns finden das zwar kitschig und unrealistisch: uneheliche, jungfräuliche Schwangerschaft, lange Reiseroute, abgewiesen, Geburt in einem kalten, ärmlichen Stall. Und dann das Jesuskind, blond, milde lächelnd – grösser könnte der Widerspruch nicht sein. Doch genau dieses Bild hat sich universal durchgesetzt, so wie Baby-Fotos bei Twitter und Facebook ganz oben in der Rangliste stehen.
Das friedliche Neugeborene vermittelt Frieden, Zartheit, Würde. Noch nichts Entscheidendes ist passiert. Es kann noch alles werden. Aus ihm kann noch alles werden. Alle Wege sind offen. Alles ist möglich. Noch keine definitiven Brüche sind geschehen, noch keine folgenschweren, unumkehrbaren Entscheide getroffen, noch keine Verletzung erlitten, welche eine gute Zukunft verunmöglichen. Ein himmlischer Anfang.
Das Jesuskind strahlt Zuversicht aus, Gesundheit, Freude. Oft segnet es den Betrachter, und zeigt damit unmissverständlich: «Was hier auf dem Bild zu sehen ist, das gilt an Weihnachten auch für Dich.» Oder eigentlich: «Das gilt zuerst für Dich.» Das, was das Bild ausstrahlt, das wird mir direkt zugesagt, das darf ich für mich in Anspruch nehmen. Das Jesus-Kind gibt mir quasi offiziell die Erlaubnis: Auch Du darfst noch einmal anfangen.
Bei uns haben Silvester-Vorsätze einen Teil dieser Sehnsucht übernommen. Doch Weihnachten geht tiefer, spricht Herz und Seele an. Gegen jede Vernunft und gegen jede Erfahrung, ein neuer Anfang ist möglich. Das ist Weihnachten.
Man kann diese Einladung schon auch mit einer naturalistischen Darstellung einer Geburt Jesu ausdrücken. Man sagt dann: auch wenn Maria blutet, Josef friert und Jesus schreit – Gott stellt seinen Heiland gerade in diese unheile Welt. Doch das spricht offenbar weniger Menschen an. Vielleicht, weil man den meisten Menschen nicht ausgerechnet an Weihnachten ihre eigene Armut, Abgewiesenheit und Randständigkeit vor Augen führen muss. Das erleben sie nämlich täglich bereits bis zum Überdruss. Sie brauchen ein reines, von negativen Assoziationen befreites Bild, um im Unheil an einen wirklichen Neuanfang zu glauben und daraus Kraft für ihr Leben zu schöpfen.
Das Bild des friedlich lächelnden Jesus-Kindes lädt uns ein, einfach mal alles auf die Seite zu schieben, was uns bedrängt und lähmt, was uns ängstigt und peinigt, unsere Fehler und Fehlentscheidungen. Das lächelnde Kind lädt uns zum Mut ein, einen Neustart zu wagen. Das Jesuskind erlaubt uns persönlich, uns an einer neuen Vision zu ernähren wie ein Neugeborenes an der Mutterbrust.
Der zarte, liebliche, verletzliche und würdevolle Jesus in der Krippe schaut die Betrachter an und sagt ihnen quasi in direkter Rede: «Nimm das Zarte, Liebliche, Verletzliche in Dir an. Es gehört zu Dir und macht Deine Würde aus. Ich, das Jesuskind, der Messias, sage Dir das. Trau Dich, neu anzufangen, ohne Einschränkung, so wie Josef und Maria dies taten, als sie zu mir Ja sagten.»
Lieber Hüsnü
Ein Leserbrief an Hüsnü Haydaroglu anlässlich seiner Lebensberatung-Serie “Hüsnü hilft” in der BZBasel⇒.
Ich muss Dir mal schreiben. Der Herr Chefredaktor hat Deine Lebensberatung an den Wochentag vor der Kirchen-Kolumme „Oh My God!“ gesetzt, und ich finde: Das passt.
Aufgegangen ist mir das, als Du über Gott geschrieben hast. Die Menschen sollen Gott nicht nach einem neuen Natel fragen. Jedenfalls nicht zuerst. Also, man kann das natürlich schon fragen, aber fragt man das einen Freund? Gott ist doch kein Call-Center. Etwa so sagtest Du.
Was für ein schöner Vergleich! Ich glaube, das verstehen viele Menschen sofort, auf jeden Fall dort, wo ich wohne.
Also ich wohne im Oberbaselbiet. Da reden die Leute ein bisschen wie Du, ein wenig klobig und holprig, und einige Basler stören sich ja auch an Deinem „Tiefdeutsch“, so wie sie sich über die Oberbaselbieter als „kulturlose Bauern“ lustig machen.
Aber eben, ich glaube, gerade wir Oberbaselbieter verstehen Dich sehr gut. Die Vergleiche, mit denen Du die Fragen der Leser und Leserinnen beantwortest, sind nämlich aus dem ganz normalen Alltag, wo ein Call-Center vorkommt und verbranntes Essen.
Und ich finde, Du bist auch ein super guter Seelsorger.
Denn wie ein richtig guter Pfarrer hörst Du ganz genau zwischen die Zeilen von dem, was die Menschen Dich fragen. Und dann verstehst Du auch das, was die Menschen nicht gesagt haben, weil sie noch gar nicht wussten, was sie eigentlich meinten, als sie Dich fragten.
Und wie ein guter Seelsorger antwortest Du mit lustigen Geschichten, meist aus Deinem Leben, und Du machst das so, dass man denkt „Ha! Das kenn ich selber auch, das ist mir gerade gestern auch passiert oder vor 25 Jahren und ich weiss es noch genau wie es war!“
Es tönt jetzt vielleicht ein bisschen blöd, und ich sag es trotzdem: wie bei Jesus.
Du schreibst Geschichten, die den Menschen warm geben, weil sie spüren, da hat mich jemand verstanden, wie ich mich selber noch gar nicht verstanden habe.
Einen Unterschied gibt’s aber: Viele von diesen guten Seelsorgern und Seelsorgerinnen würden sich nie getrauen, ihre Gedanken in die Zeitung zu schreiben. Sie hätten Angst, dass man ihnen ganz vieles vorwerfen könnte: „Die ist eine Selbstdarstellerin!“ – „Der sagt das, ohne dass er seinen Chef zuerst gefragt hat!“ – „Diese Worte schreibt man anders!“ – „Die Beispiele sind für die Kirche zu banal!“, und so weiter.
Und diese Kolleginnen und Kollegen haben noch eine andere Angst, die ist gleichzeitig das Gegenteil und das Gleiche: Nämlich, dass Menschen ihnen die Kritik nicht direkt sagen, sondern hintenherum böse über sie reden, damit sie sich nicht wehren können. Das gibt’s! Also diese Angst, meine ich.
Nicht alle haben nämlich so eine coole Sonnenbrille und einen mächtigen Schnauz, wo jede Kritik einfach abblitzt. Und das ist schade, weil Viele super gute Zuhörer sind und tolle Geschichten erzählen könnten.
Für mich bist Du deshalb ein Vorbild. Du ermunterst zum Vertrauen, dass gute Ohren keine Frage der Grammatik sind, und dass eine gute Seele auch in Tiefdeutsch wunderschön reden kann.
Denn bei Deinen Geschichten geht einem oft oft dabei das Herz auf, während der Mundwinkel noch vom Lächeln vibriert.
Dafür danke ich Dir.
Mit vielen Grüssen, Thierry Moosbrugger