Wahres Leading
Die Fussballsaison ist vorbei, statt grünem Rasen dominiert braunes Sägemehl die Fernseh-Bildschirme. Und das ist gut so. Trotzdem muss ich noch eine Chance ergreifen, auch wenn ich schon wie die alte Fasnacht hinterherkomme.
Vor einer Woche ist der Vorhang definitiv hinter die Ära Heusler gefallen. Sein Erfolg und seine Fähigkeit, auf verschiedenste Fangruppierungen einzugehen und sie einzubinden, das macht ihn zu einem verdienten Ehrenpräsidenten des FC Basel. Dazu noch sein lautloses soziales Engagement, zum Beispiel für Jugendliche aus der Region, die sich in Rumänien für Heimkinder einsetzen, das alles macht Bernhard Heusler zu einem „Scheinriesen“ wie Herr Tur Tur in „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“. Denn eben: wenn man ihm gegenüber stand, begegnete er einem stets auf Augenhöhe.
Trotzdem sind es nicht diese Erlebnisse, die für mich die wichtigsten sind, wenn ich an seine Zeit zurückdenke. Für mich ist sein prägendster Auftritt noch gar nicht lange her.
Im vergangenen Winter erhielten die Saisonkarten-Besitzer „wie allewyl“ Brief und Rechnung für das neue Kalenderjahr. Doch der Schreck sass bei Vielen tief. Je nach Sektor waren die Saisonkarten bis zu 40% teurer geworden. Also zum Beispiel statt 570.- über 800.-. Fussballerisch gesprochen: Viele fühlten sich von der FCB-Leitung von hinten umgegrätscht.
Internet-Foren waren voller negativer Kommentare, Zeitungen berichteten, erste Erklärungsversuche folgten, es gehe um Gerechtigkeit zwischen den einzelnen Sektoren. Auch wer für diese Absicht Verständnis aufbrachte, hatte ebenso Verständnis für den Ärger der Fans, die sich geschröpft fühlten.
Und dann, ein paar Tage darauf: Präsident Bernhard Heusler wendet sich in einer Video-Botschaft an die Fans und sagt. Das war ein Fehler. Wir nehmen die Preise zurück. Wir entschuldigen uns bei den vielen Fans, denen wir Ärger bereitet haben. Die Fans sind uns wichtig. Wir beginnen noch mal von vorne und bitten um Ideen, damit die verantwortliche Arbeitsgruppe einen neuen Vorschlag erarbeiten kann.
Bäm! Keine Ausreden, nichts zwischen den Zeilen. Heusler hätte das Ganze aussitzen können und warten, bis sich der Sturm gelegt hat. Finanziell ist der FCB ja nicht auf soviele Saison-Abos angewiesen. Aber Heusler weiss: Das sind „unsere“ Leute, und die Saisonkartenbesitzer, das ist unser Stamm, und wenn wir Erfolg haben wollen, dann geht das nur gemeinsam. Und so steht er selber hin und nimmt den Fehler auf sich.
Das kann nur jemand, dem es wirklich um die Sache und um seinen Verein geht und nicht um sein Ego. Und ein solches Handeln fusst auf dem Wissen, dass Fehler passieren. Dass nur dort keine Fehler passieren, wo nicht gearbeitet wird. Und dass das Zugeben von Fehlern einen nicht das Gesicht verlieren lässt, sondern Respekt bringt. Weil nur Persönlichkeiten auch gröbere Fehler zugeben können. Das ist wahres Leading. Bei allen Erfolgen der „Ära Heusler“ wurde mir klar: Diese Episode ist für mich die Wichtigste. Daran will ich mir ein Beispiel nehmen. Danke für dieses Vorbild!
Ein kleines Mädchen in New York und die Kraft der Wahrheit
Letzten Freitag hatte in Basel die Gandhi-Oper «Satyagraha» von Philip Glass Premiere. Das heisst «Kraft der Wahrheit». Hm. Was ist Wahrheit? Das fragte Pilatus Jesus schon vor zweitausend Jahren. Heute dominiert ein anderer Machthaber die Diskussion um die Bedeutung von überprüfbarer Wahrheit. That’s true.
Bei uns versprechen gewisse Medien schon mal positive Berichterstattung gegen grosse Anzeigen, dagegen wirbt ein neues Medienprojekt mit dem Slogan «Journalismus ohne Bullshit». Ob eine Wahrheit die Menschen erreicht, ist oft eine Frage der Kommunikation, ganz nach der Binsenweisheit: «Die Wahrheit entsteht bei der Empfängerin.»
Nun, in New York steht seit dem 8. März eine kleine Statue mit dem Titel «Fearless Girl». Dieses furchtlose Mädchen hat den Rücken durchgestreckt wie Peter Pan, die Hände in die Hüften gestemmt, das Kinn emporgereckt, mit wachen Augen voller Zuversicht. Es schaut quer über den Platz direkt in die Augen einer anderen Statue, nämlich eines wilden Stiers, der seit 1987 dort steht.
Und damit beginnt das Problem. Denn der Stier-Künstler hat die Mädchen-Künstlerin verklagt: Die Statue verändere seine künstlerische Botschaft und verletze damit seine Rechte als Künstler. Der Stier stehe für Kraft, Unbeugsamkeit und Liebe des amerikanischen Volkes. «Fearless Girl» verkehre diese Eigenschaften ins Gegenteil. Und es kommt noch komplizierter: Der Stierkünstler hat seine Statue nach der Börsenkrise 1987 illegal dorthin gestellt, die Mädchenstatue hingegen ist der PR-Gag einer Vermögensverwaltungsfirma, um ihre jährlich veröffentliche Frauenquote in Verwaltungsräten zu bewerben. Weil diese Firma selber ein kapitalistisches Unternehmen sei, wurde die Aktion wiederum von einigen Frauen als Verrat am Feminismus kritisiert.
Blicken Sie nicht mehr durch? Nicht so schlimm. Schliessen Sie sich einfach den Menschen in New York an. Die scheren sich nämlich einen Deut um diese Diskussionen, weil sie das furchtlose Mädchen längst in ihre Herzen geschlossen haben. Sie lassen sich damit knipsen, alleine und in Gruppen, sie umarmen das Mädchen, ziehen ihr Schals oder Kappen an, wenn es geschneit hat, natürlich auch schon einen lila «Pussy Hat». Auf den Fotos bei der Bildersuche sind durchs Band fröhliche Menschen zu sehen, «Fearless Girl» inspiriert Menschen, bringt sie zum Lachen und macht sie offensichtlich glücklich. Ursprünglich sollte die Statue nur eine Woche dort stehen. Dank zahlloser Bittbriefe an die Stadtregierung wird das furchtlose Mädchen die New Yorker nun mindestens bis März 2018 erfreuen.
Was sagt uns das über die Wahrheit? Wenn ich mit meiner Botschaft die Menschen erreichen will, dann muss ich ihre Sprache sprechen. In diesem Fall haben die Menschen verstanden: Hier steht ein junges Mädchen mutig und zuversichtlich gegen eine bedrohliche Übermacht auf.
Ob das nun ursprünglich so gewollt war oder nicht, ganz ehrlich: Ich finde das eine wunderbare Botschaft. Voller Kraft und Wahrheit.