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Und Gott erschuf die Menschen als Mann und Frau – omg!

Wie könnte ich als Theologe über Gender schreiben? Hm. Ich tue, was für einen Theologen auf der Hand lieg, ich nehme die Bibel zur Hand. Und stosse gleich am Anfang auf einen ernsten Befund.

Gott hat die Menschen als Mann und Frau geschaffen. Zwei Sorten Menschen also. Wäre es nicht einfacher, wenn es nur ein Geschlecht geben würde, mit einer Stimme? Gott hat die Uneindeutigkeit offenbar gleich selber ins Spiel gebracht, als Erfinder des dualen Systems quasi.

Und auch wo Gott keine Rolle mehr spielt, bleibt beim „darwinistischen Entwicklungsvorteil“ die Erkenntnis gleich: Gott und die Biologie halten Diversität offenbar für die erfolgreichste Lösung.

Die ersten fünf Bücher der Bibel bestehen sogar aus drei ineinander geschachtelten Schriften, die über den „Anfang der Zeit und der Geschichte des Volkes Israel“ berichten. Noch mehrstimmiger ist das Neue Testament: Gleich vier Versionen von Jesu Leben gibt es, mit eigenen Schwerpunkten und eigenen Zielgruppen. Keines der vier Evangelien ist das übergeordnete „Leitevangelium“, jede Variante hat ihren eigenen Wert, die Mehrstimmigkeit macht die „Gute Nachricht“ reicher, farbiger, fruchtbarer.

Die ganze Bibel schliesslich umfasst über 70 Bücher aus mehr als 400 Jahren, da gibt’s Romane, Liedtexte, Biographien, Weltuntergangsdramen, Gedichte, Gesetzessammlungen. Die Bibel, eine einzige Patchwork-Familie.

Und erst das macht die Bibel „heilig“. Denn darüber herrscht Einigkeit: nur weil die Bibel vielstimmig und oft kontrapunktisch redet, nur weil sie vielfältige Variationen erzählt, wie Menschen glauben, lieben und gerecht sein können: Nur darum hat sie erfolgreich überlebt – und wie! Die Bibel als einstimmiges Einparteienprogramm wäre innert Kürze vom Erdboden verschwunden.

Die Kirchen haben dieses Prinzip der Vielfalt sogar in das Dogma von Gott selber übertragen: Gott, Jesus und der Heilige Geist, sie reden jeweils auf unterschiedliche Weise und sind doch eins. Gott als Erfinder des Föderalismus sozusagen, erfolgreiche Einheit dank der Vielfalt.

„Einheitsübersetzung“ heisst übrigens die offizielle römisch-katholische Version der heiligen Bibel-Bibliothek. Vor kurzem wurde sie von dutzenden von katholischen Priestern, Theologen und Theologinnen neu übersetzt.

Und nun heisst die Kollegin des Apostels Andronikus wieder „Apostolin Junia“ (statt „Apostel Junias“). Quasi eine Geschlechts-Rückverwandlung in ihren ursprünglichen von Gott gegebenen Zustand als Frau und Apostolin. Junia war also eigentlich immer eine Frau, wurde aber lange als Mann wahrgenommen, weil sich die Gesellschaft keine weibliche Apostolin vorstellen konnte. Jetzt darf Junia wieder Frau sein, weshalb es nun amtlich ist, dass auch Frauen Apostolinnen waren. Ein anderer Übersetzungs-Fehler wird vorderhand erst in einer Anmerkung erwähnt, wohl weil er einfach zu prominent ist: Nämlich dass es „junge Frau Maria“ heissen müsste statt „Jungfrau Maria“.

OMG – jetzt habe ich meine Zeichenzahl aufgebraucht und immer noch nicht über Gender geschrieben. Oder doch?

Mehr als eine Tapete

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Eine Biedermeiertapete mit Motiven ländlicher Idylle.
Eine Frau in Kleidern des beginnenden 20. Jahrhunderts wird in verschiedenen Szenen dargestellt:
Schäkernd mit einem jungen Mann (einem Hirten?), sich räkelnd, mit einem Sonnenschirm, unter einem Baum, bei einem Busch oder einer kleinen Holzhütte.
Ein Bild der Ruhe, der Erholung, der Nostalgie.
So eine Tapete passte gut als Umgebung einer kleinbürgerlichen Wohnung, in der am Sonntagmittag zum Tee geladen wird oder zum Kaffee, wo Kleinstadttratsch, Mode und vielleicht ein wenig grosse Politik ausgetauscht wird.
Immer entspannt, im Wissen um soziale und finanzielle Sicherheit, zufrieden, selbstgenügsam.
Mensch steht vor dieser Tapete und stellt sich das vor; irritierend ist nur, dass die Tapete nicht aus Papier ist, sondern leicht flirrt, wie eine Leinwand.
Und während man so diese Idylle betrachtet…
 
Ich möchte hier nicht zuviele Deutungen ausdrücken.
Brigitte Zieger durchbricht, ja “zerschiesst” wortwörtlich die scheinbaren, oberflächlichen Bedeutungsebenen.
Nikki de Saint-Phalles Schiesserei-Performances kommen mir in den Sinn. Bei Zieger werden aber nicht Symbole der bürgerlichen Gesellschaft zerstört, sondern gleich die Betrachterin selber erschossen. Und danach setzt sich die Frau wieder gemütlich hin in den Schatten.
Job done, Zeit für eine Zigarette.
In der Gesamtansicht der ganzen Tapete löst sich übrigens immer wieder woanders eine Frau aus dem Hintergrund und tritt in “Action” – eine weitere Einladung zum Nachdenken.
Den Rhythmus von Idylle und nicht endender gewalttätiger Rebellion, die sich gegen den Betrachter wendet, gilt es auszuhalten.
In der Länge, auf die man sich einlässt liegt die Tiefe von Bedeutungen, die es zu entdecken gilt. Für jeden anders, für jede nach der eigenen Persönlichkeit, wie das gute Kunst immer tut.
Was löst es bei Dir aus?