Mein persönlicher Osterweg ist keine “Via dolorosa”. Er ist der Aufstieg zur Burgruine. Ostern steigt von den Füssen auf in die Seele. Der Kopf darf interessierter Zeuge sein.
Es schneit. Natürlich. Auch in dieser Osternacht, morgens um halb sechs Sommerzeit. Kaffee, Ski-Hosen, Wanderschuhe. Rucksack. Schaffell, Decken, die Holzkreuze vom Karfreitag.
Stilles Gedränge im Eingang. Es gibt nur zwei Nächte, in denen meine drei Kinder selbstverständlich so früh aufstehen. Dies ist eine davon.

Dann los. Der sanft abfallende Weg zur Hauptstrasse wie ein Vorspiel. Im orange-weissen Licht der Strassenlampe zeigt sich die Dichte des Schneegestöbers. Die Schneeflocken fallen steiler, als ich gedacht habe.
Kein Verkehr, klar. Auf der anderen Seite steil hoch durch den begüterten Teil von Waldenburg. Oben kehrt ein Auto, das jemanden ablädt. Ein Umkehrer? Verhindert das Wetter die Osterfeier auf der Waldenburg? Erst einmal hatte es das gegeben. Nein, das Auto fährt ins Tal. Ich nehme die Abwesenheit von Emotionen wahr.
Weiter geht es steil hoch. Der Schnee fällt leicht vom Himmel, aber liegt nass auf der Strasse.
Wie viele Worte haben die Inuits für Schnee? Achtundzwanzig? Heute stört mich der Schnee gar nicht. Es ist was es ist.
Wir biegen rechts von der geteerten Strasse weg, auf den Mergelweg, dann links steil hoch auf den Wanderweg.
Unsere Fuss-Spuren sind die einzigen – sind wir die ersten oder die einzigen, die heute zu Fuss hochsteigen? Ich höre rechts die Kirchenglocken, es ist Viertel vor Sechs.
Die Kopflampe hätte ich mir sparen können, der Schnee verstärkt das wenige Licht der mondlosen Nacht tausendfach.
Nun ist der Weg Programm. Ich muss mir vorschreiben, mein Inneres vom Äusseren formen zu lassen: Schritt für Schritt, langsam, mein eigenes Tempo. Rutscher. Ich trage mein Gewicht, ich gehe den Weg, ich denke nicht an die Anzahl Kurven vor oder hinter mir, ich denke nicht an das Ziel, die Distanz, das Tempo. Ich denke nur an den nächsten Schritt. Und dann an den nächsten.
Es gelingt mir tatsächlich. So wie ich ruhig den Weg gehe, beruhigen sich die Karfreitags-Gedanken und machen einer ruhigen Zuversicht Platz, die im Jetzt ist und nicht schon in einer Zukunft.
Ich weiss: Ich könnte jetzt kein flüssiges Vaterunser rezitieren. Bewusstheit geschieht im Wandern an den analytischen Hirn-Regionen vorbei, ohne weniger Wirkung zu erzielen.
Ich komme am „Kaiser-Sitz“ vorbei, diesem ungewöhnlich abgesägten Baumstamm, den wir mit den Kindern früher so benannt hatten. Vertrautheit grüsst mich – wie jeder bewusste Gedanke beim Hochgehen – wie Flügelschwingen eines Engels.
Dann biegt der Wanderweg auf den breiten Zugangsweg zur Burg ein. Die Kinder warten und reden mit Anderen, ich muss eine Schwelle aus dem In-Sich-Sein des Wanderns überschreiten.
Die letzten hundert Meter auf die Burgruine zu haben immer etwas Erhabenes, das ich geniesse. Das Tor, die Biegung, die letzten Stufen. Und dann, die Instrumente wie mit Häufchen aus Schnee gekrönt, steht da die traditionelle „Oster-Metall-Harmonie“. Irgendwie bizarr und gleichzeitig warm breitet sich das Bild in mir aus. Ich bin da. Bereit für Ostern.
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Es gab übrigens auch schon frühlingshaftere Ostermorgen 🙂