Home » Blog » Glaube » Der Papst war ein romantischer Idealist. Was heisst das für uns?

Der Papst war ein romantischer Idealist. Was heisst das für uns?

Benedikt XVI. bleibt sich mit seinem Rücktritt treu: das System geht über alles. Damit bleibt er Idealist bis zum Schluss. Auch der neue Papst wird die Kultur seiner Heimat in sein Amt mit nehmen. Das ist gut.

Der Seelsorge-Alltag hat wenig zu tun mit den Vorgängen in Rom. Auch unter Benedikt sind die Verantwortungsbereiche der nicht-PriesterInnen stetig angewachsen. Benedikt konnte nur versuchen, den Druck auf den Bischof von Basel permanent hoch zu halten. Ändern konnte auch der Papst nichts an dieser Entwicklung.

Vielleicht hat seine Strenge sogar dazu beigetragen, dass die Pfarreien mehr selber in die Hand nahmen. Weil von Rom nichts zu erwarten war, verzichteten vielleicht mehr SeelsorgerInnen auf den kindlich-unselbständigen Blick nach oben zum “Heiligen Vater” und vertrauten sich statt dessen vor Ort dem Heiligen Geist an – und handelten danach.

Dennoch: Benedikts Art der Amtsführung hat dem Image der katholischen Kirche weiter geschadet und die Bürde für lokale SeelsorgerInnen erhöht, vor Ort immer wieder die Fehlleistungen des Vatikans auslöffeln zu müssen.

Denn was in der Realität längst zwei verschiedene Welten (bzw Kirchen 🙁 ) sind – im Bild der (kirchenfernen) Öffentlichkeit wird Rom und Baselland meist eng miteinander verbunden wahr genommen.
Und mit welchem überwältigenden Interesse nun über den Amts-Wechsel in Rom berichtet wird, zeigt die Faszination, welches der Papst als Symbol weiterhin in sich trägt.

Deshalb ist der “Geist”, welcher vom neuen Papst ausgehen wird, indirekt auch für die Arbeit vor Ort wichtig. Was ein charismatischer Präsident ausmachen kann, zeigt die Art, wie Bernard Heusler aus einem unsympathisch-erfolgreichen Fussballverein einen erfolgreich-sympathischen gemacht hat.

Neuer Papst, neue Kultur

Was heisst das für die Zukunft? Da viele Kardinäle von Benedikt selbst berufen wurden, ist davon auszugehen, dass der neue Papst theologisch nicht wesentlich anders tickt als Benedikt.

Aber egal, der neue Papst wird kaum ein Deutscher sein, aber wie Benedikt seine eigene (Kultur-)Geschichte mitnehmen. Ein Afrikaner zum Beispiel die brennende AIDS-Thematik, ein Lateinamerikaner die Leiden der Diktaturen. Und aus ihrer Kultur heraus wird auch das Verhältnis von Theorie und Praxis ein anderes sein.

Es wird sehr spannend sein, das zu beobachten.

Benedikt – ein romantischer Idealist

Und wie war das jetzt? Josef Ratzinger war ein Denker, ein Theoretiker, ein Systemiker. Das feste Kirchensystem stand über allem. Seine Reden, seine Gedanken, seine Äusserungen, sie waren innerhalb dieses Systems immer logisch und stringent. Und wenn die Realität anders aussah, dann hatte sie sich eben dem System anzupassen.

So hat sich der Papst längst von den Sorgen der Menschen verabschiedet. Und so wurde seine Weltsicht immer düsterer.Der Papst war blind für positive Entwicklungen, eben weil sie ausserhalb seines Systems geschahen, in das die Menschen immer weniger passten.

Benedikts Geisteshaltung hat seine Wurzeln im deutschen romantischen Idealismus. Vergeistigt, schwarz-weiss (bzw rosarot-himmelblau 🙂 ), hypermoralisch. Die Realität mit ihren fünfhundert Schatten von Grau ist im Idealismus nicht vorgesehen.

G.W. Friedrich Hegel und Immanuel haben den Idealismus geprägt. Kants “kategorischer Imperativ” lautet “Handle immer so, dass jeder Deiner Taten ein allgemeines Gesetz werden kann.” Und Hegel war begeistert von der Kraft des Geistes: je mehr Geist und je weniger irdische Realität, desto näher ist man Gott.

Die totale Moral

Der romantische Idealismus prägt die deutsche Kultur bis heute. Dies wird sichtbar, wenn man die Debatten der letzten Wochen in Deutschland anschaut. Ob man aus alten Büchern das Wort “Neger” streichen muss, ob man nun “der Gott” sagen muss, ob eine Top-Ministerin vielleicht(!) einen Teil ihrer Dissertation von jemand anderem übernommen haben könnte, und auch der plumpe Bar-Anmachspruch eines Politikers: alles löste in den wenigen Wochen dieses Jahres bereits die heftigsten und gehässigsten öffentlichen Debatten aus, samt und sonders bis in die deutsche Regierungsspitze hinein. In keinem anderen Land der Welt wäre so etwas möglich.

Das Prinzip ist immer das Gleiche: es gibt ein moralisches System, das zum Gesetz mutiert, und jede Kleinigkeit wird ihr unterworfen. Es gibt keine Grautöne, keine historischen Relativierungen, kein “fünf-grade-sein-lassen”, keine grosszügige Geste. Es geht immer ums Ganze.

Die totale Moral des Idealismus und der Romantik kennt kein “mehr oder weniger”, keine Zwischentöne, sondern nur universal Unschuldige oder Schuldige. Denn ein Ideal ist im Idealismus kein Ziel oder keine Richtschnur, sondern ehernes Gesetz, dem sich die Realität unter zu ordnen hat, zu jeder Zeit und an jedem Ort, universell und allzeitlich.

Dehnungsübungen angesagt!

Und genau so hat der Papst sein Amt und seine Dogmatik gelebt – so konsequent, dass er auch sich selbst unterordnete: ich kann dem System nicht mehr ganz dienen, also muss ich gehen. Auch wenn das seit 800 Jahren kein Papst mehr gemacht hat. Das System ist das wichtigste.

Diese letzte Konsequenz verdient Respekt und Achtung, ohne Wenn und Aber.

Damit wünsche ich dem Papst einen würdigen Rückzug.

Und ich wünschte mir einen Nachfolger, der das reale Leben als Zuhause des Heiligen Geistes sieht. Und wo das System den Menschen dienen muss und nicht umgekehrt.

Oder, weil ich gleich joggen gehe: Ich wünschte mir einen Nachfolger, der mit dem System der katholischen Kirche in Dehnungsübungen und in ein Fitnessprogramm einsteigt, das die Knochen festigt und die Muskeln stärkt, bevor das Gebilde mit Poly-Arthritis und Muskelschwund in sich zusammenkracht.

Denn die Kirche kann nicht wie Papst Benedikt zurücktreten.


Hinterlasse einen Kommentar

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.