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Wer geht schon nach Weissrussland 3/3

Eine ungewöhnliche Reise, Teil 3.
The Spirit of Belarus, Rumänien und Belarus und einige politisch unkorrekte Fragen zum Schluss.

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The Spirit of Belarusia

Urbane Kultur.
Urbane Kultur.

Wir hatten keine Ahnung, was uns in Belarus erwartet. Wir kannten das Bukarest der späten Neunzigerjahre, wir kannten die westlichen Bezeichnungen “Diktatur”, wir wussten um das schlechte Image, das Präsident Lukaschenko bei uns geniesst.

Und wir trafen auf eine Stadt, die alle diese Vorurteile Lügen straft. Von der luftigen Offenheit habe ich bereits geschrieben. Und so locker und offen die Stadt wirkt, so gelöst erlebten wir auch deren Einwohner.

Kultur-Klassiker auf dem Markt.
Kultur-Klassiker auf dem Markt.

Ein Lehrer verdient zwar jämmerliche 300 Euro im Monat, aber die Menschen machen keinen ärmlichen oder heruntergekommenen oder depressiven oder unterdrückten Eindruck.
Die Stimmung in den vielen Restaurants ist angenehm und freundlich, Minsk ist sauberer als so manche Schweizer Stadt, die Gebäude gepflegt, ebenso wie Autos und Kleidung. Graffitis hab ich genau eines gesehen in dieser Woche, geschmierte Tags vielleicht vier.

Belarussische Landschaft.
Belarussische Landschaft.

Auch wenn wir übers Land fuhren, war das Bild nicht anders. Die kleinen Bauerndörfer am Strassenrand sind nicht am zerfallen, die Häuser ebenfalls nicht. Obwohl das Land keine grossen Erhebungen hat, wird es von sanften Hügeln durchzogen, mit weiten, ockerbraunen und grünen Feldern.
Und ich kann nun nachvollziehen, was der Schauspieler Gérard Dépardieu meinte, wenn er Belarus mit der Schweiz verglich: Es ist diese Mittelland-ähnliche Landschaft, das Bescheidene, Saubere, Niedliche.

Die Zigarette:

An einem Abend kommt uns ein rauchender Mann mit Gothic-Kleidung entgegen;
seine Zigarette gerade zu Ende geraucht,
und er behält den Stummel noch zwanzig Meter in den Fingern,
um ihn dann am Rand des Trottoirs in einen Abfallkübel zu werfen.

Rumänien und Belarus

Stromkabel in Belarus. ...
Stromkabel in Belarus. …

Ich konnte diesen Vergleich nicht nicht machen. Zwischen Belarus und Rumänien liegt nur die Ukraine, nur wenige Wochen zuvor habe ich Rumänien zum 24. mal besucht.
Beide Länder standen 1990 vor derselben Aufgabe, nämlich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion einen neuen Anfang zu gestalten.
In jedem Bericht meines Vaters von den Neunzigerjahren erstanden in mir Bilder, die ich auch aus dem Rumänien jener Tage kannte.
Die leeren Geschäfte, die kaputten Strassen, die desolate Wirtschaft. Beide Länder haben seither viel in den Strassenbau und in neue Gebäude investiert.

...und in Bukarest.
…und in Bukarest.

Wie Bukarest hat heute auch Minsk viele nette Cafés und Restaurant, praktisch überall ist WLan verfügbar, es gibt “Label-Stores”, ein moderner Wagenpark befährt die Strassen.

Doch auch die Unterschiede sind nur allzu ersichtlich. Der Verfall, der in Rumänien so oft schon im Entstehen sichtbar ist, die Bauruinen, die einem auf Schritt und Tritt begegnen, die schiere Masse an leeren Schilderskeletten, Liederlichkeit bei Gebäuden oder beim Spannen von Stromkabeln – das alles sieht man in Belarus nicht.
Weissrussland ist geprägt von einem Sinn für die Pflege, bei der die Sauberkeit nur die offensichtliche Oberfläche ist. Das hätte ich so nicht erwartet.

Sauberkeit zählt.
Sauberkeit zählt.

Minsk ist im Gegensatz zu Bukarest noch nicht vom Städte-Tourismus entdeckt worden, obwohl es das Potenzial dazu hätte.
Zu umständlich wohl noch die Einreisebestimmungen, zu wenig vernetzt der Flughafen.
Das und wohl eben der Charakter der Menschen macht die Belarussische Millionenstadt unaufgeregt, ruhig, angenehm.

Ganz gleich wie in Rumänien ist die überwältigende Gastfreundschaft, das Lohnniveau, das schmackhafte Essen, der Wohnstil und die Ästhetik.

Gibts dort wie hier. In Belarus so, dass man es versteht.
Gibts dort wie hier. In Belarus so, dass man es versteht.

Gleich auch die strikte Trennung der männlichen und weiblichen Lebenswelten: Gleich wie der rumänische Heimleiter Ipate seine Frau Maria nicht an offizielle Heimanlässe mitnimmt, tut das auch der Belarusische Uni-Direktor Boris Chrustaljew mit seiner Frau Irina nicht.

Unter dem Strich muss man sagen: Belarus ist in den vergangenen 25 Jahren mehr als einen Schritt weiter gekommen als Rumänien.
Und es tut mir ehrlich gesagt ein wenig weh, das sagen zu müssen.

Geist und Politik – ein paar politisch unkorrekte Vermutungen

Ästhetik, die weiterhin an die Sowjet-Kultur erinnert.
Ästhetik, die weiterhin an die Sowjet-Kultur erinnert.

Ganz sicher ist es vermessen, sich nach einer Woche ein Urteil anmassen zu wollen.
Trotz den vielen Gesprächen mit meinem Vater, der ein wandelndes Geschichtslexikon ist, trotz seiner Erfahrung mit dem Land Belarus und meiner Möglichkeit, seine Erfahrung mit meiner in Rumänien in Beziehung setzen zu können.
Klar: Die Frage, was in Weissrussland anders gelaufen ist als in Rumänien, konnte ich mir nicht nicht stellen.

Weissrussland ist nach dem Ende des Sowjetreiches weiterhin relativ autoritär geführt worden, während in Rumänien „zehn Jahre ein führungsloses Chaos herrschte, in denen die Mafia die Macht an sich riss“, wie es der rumänische Heimleiter Ionel Ipate einige Wochen zuvor ausgedrückt hatte; “das waren die schlimmsten Jahre, schlimmer noch als die Diktatur selbst”.

Phantasievolle Plakatkampagne.
Phantasievolle Plakatkampagne.

Könnte es sein, dass die autokratische Führung in Belarus dem Land die Möglichkeit gab, eine ruhigere, kontinuierlichere Entwicklung zu machen, und dabei weniger unter dem Einfluss von aussen zu stehen, so dass eben derjenige Weg gewählt werden konnte, der für das Land selber der richtige ist?
Könnte es sein, dass die politische Riege jenseits von periodischen Wahlkämpfen sich längerfristiger auf das Land mit seinen Bedürfnissen konzentrieren konnte?
Könnte es sein, dass die Politik der Partnerschaft mit der Kultur des ehemaligen “grossen Bruder” die Identifikation und das Gefühl eines Miteinanders förderte? Belarus hat weiterhin zwei Amtssprachen, russisch und Belarussisch – im Gegensatz zur Ukraine, wo die nationalistische Abschaffung der russischen Amtssprache der Ursprung der Spannungen bedeutete.

Symbolisch: Bunter Blumenladen in der  Metro-Unterführung, wo man ihn nicht erwarten würde.
Symbolisch: Bunter Blumenladen in der Metro-Unterführung, wo man ihn nicht erwarten würde.

Wie gesagt, ich masse mir kein Urteil an.
Ich habe ein Land kennen gelernt, das die Vorurteile einer “letzten Diktatur Europas” so ganz und gar nicht bedient.
Ich habe ein freundliches Land kennen gelernt, in dem die Menschen einen unaufgeregten, freundlichen Optimismus verbreiten.

Darauf möchte ich gerne einen Toast sprechen:

„Spassiba. Mir. Nasdarovje!“

Wer geht schon nach Weissrussland, Teil 1
Wer geht schon nach Weissrussland, Teil 2

 


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