Thierry Moosbrugger schreibt an Bischof Felix, wieso er die Pfarrei-Initiative unterschrieben hat. Das Wort “selbstverständlich” spielt dabei eine wichtige Rolle.
Basel, 22.1.2013
Selbstverständlich, lieber Bischof Felix,
schreibe ich Dir in diesem offenen Brief gerne, wieso ich die Pfarrei-Initiative unterschrieben habe (offen, weil ich keine Missio vom Bistum habe und drum auch keine Antwort-Aufforderung von Dir erhielt). Bischöfliches Interesse am Dialog ist erfahrungsgemäss eben nicht selbstverständlich, und ich möchte Dir damit zeigen, dass ich deine Bereitschaft sehr schätze.
Selbstverständlich ist diese Initiative nicht auf dem Mist von Revoluzzern gewachsen, das weisst Du ja. Ich kenne Einige Pfarrer und SeelsorgerInnen, die nicht unteschrieben haben, weil ihnen die Initiative “zu wenig weit geht”. Ich erachte diese Meinung ein wenig als Ausrede, um beim Jammern bleiben zu können.
Ich habe die Initiative genau deswegen unterschrieben.
Weil sie nicht jammert. Weil sie einfach beschreibt, was ist.
Was im Umfeld der Initiative an persönlichen Geschichten in und mit der katholischen Kirche geteilt wird, treibt einem die Tränen in die Augen und macht Gänsehaut.
Da erzählt eine Legion von guten Katholiken, wie sie ihr Herzblut für diese unsere Kirche vergiessen, getrieben vom Geist Jesu, jahrelang schuftend für Glaubwürdigkeit und die Verwirklichung all der Werte, welche die katholische Kirche vertritt. Und sie alle erzählen, wie ihr Engagement immer wieder von Legalismus abgewertet wird.
Dass sich da bodenlose Gefühle auftun, von Trauer über Wut bis Abwendung oder gar Hass, finde ich menschlich und mehr als verständlich.
Das Theater Basel führt zur Zeit “Moses” auf, und das Stück zeigt eindrücklich, was mit Menschen geschieht, wenn eine Vision des Aufbruchs in einem nicht enden wollenden Wüstenmarsch endet…
Umso mehr habe ich Respekt davor, dass es den VerfasserInnen der Initiative gelungen ist, ihren Text nicht von diesen negativen Gefühlen prägen zu lassen. Du wiederum siehst dieses Engagement der InititiantInnen für die Kirche, und das freut mich. Sehr.
Denn die Initiative zeigt noch etwas anderes auf, was beim Jammern über die ach so schlimme Gegenwart oft vergessen geht. Sie zeigt nüchtern auf, wie viel sich seit dem Konzil verändert hat. Und diese Veränderungen selber, die sind ebenfalls Legion. Wie viel Undenkbares wurde selbstverständlich!
Sicher, auch ich bin der Meinung, dass einige der grossen alten Türme so morsch geworden sind, dass sie in ihrer sichtbaren Morschheit der Kirche bereits heute grossen Schaden zufügen und dringendst der Renovation bedürfen – auch wenn es für einen Umbau der disziplinarischen Lehren über das Pflichtzölibat und die Zugangsbedingungen zum Priesteramt bereits zu spät sein könnte, und es steht zu befürchten, dass mit dem Verbröseln dieser Türme auch die „Bausubstanz“ bzw die Werte dahinter (Priesteramt, Eucharistie etc) in Staub zerfallen.
Trotzdem: das gefühlsselige Erstarren im jammernden Rückwärtsschauen in die 60-er Jahre geht an der Realität von heute komplett vorbei. Vieles von dem, was heute in der Praxis selbstverständlich ist, war vor 45 Jahren undenkbar. Und dies beschreibt der Initiativ-Text.
Hier, lieber Bischof Felix, formulierst du ein bischöfliches Problem, und das verstehe ich gut. Denn Vieles, was heute im Kirchen-Alltag geschieht, ist von deinen vatikanischen Kollegen nicht gebilligt, und nur unter dem offiziellen Vorzeichen von “Notlösungen” scheint es überhaupt möglich, die Schweizer Selbstverständlichkeiten nicht zu beseitigen (was schlicht einer Liquidierung der katholischen Kirche Schweiz gleichkäme).
In Deinen Aufgaben suchst Du, Bischof Felix, nach der grösstmöglichen Verantwortbarkeit. Genau wie jedeR SeelsorgerIn, der/die sich in den akuten Situationen fragt “Worum geht es hier im Grunde?” – und dementsprechend handelt. Sie tun dies treu zum Geist der Kirche – auch wenn dieser Geist der oberflächlichen disziplinarischen “Ordnung” zu widersprechen scheint. Und getreu dem Geist der Kirche erleben sie täglich, dass ihr Tun dem Glaubensempfinden der Gemeinschaft der getauften Katholiken ihrer Gemeinde (dem “sensus fidelium”) entspricht.
Diese Selbstverständlichkeit ist aus den Alltagserfahrungen mit den getauften und gefirmten Katholiken in den Pfarreien gewachsen, dass diese “Notlösungen” sowohl pastoral, menschlich als auch theologisch dem (heiligen, weil heilenden) Geist der Kirche entsprechen.
Das ist selbstverständlich kein “ich tu was mir gerade passt”, und das weisst Du ja auch. Da gehen immer Diskussionen und innere Kämpfe voraus, bis einE SeelsorgerIn etwas tut, das die Kirchendisziplin nicht vorsieht, aber in den jeweiligen Situationen die einzige adäquate und geistgemässe Handlungsoption im Geist der Kirche ist.
Der mE unklug verwendete Begriff des “Ungehorsam” in der Initiative entspricht einem eigentlichen Gehorsam zur Kirche, wie sie ihrem eigenen Geist entspricht. Er mag im Ton provokativ sein, ähnlich wie man Dich, Bischof Felix, so verstehen könnte, Du unterstellst den Initianten, die Kirche nicht zu lieben und einfach zu tun, was ihnen gerade so passt.
Unter dem Strich geht es wohl gerade darum, dass sich die Initianten wünschen, als „Handelnde für den Geist der katholischen Kirche“ gewürdigt zu werden.
Hier sind wir beim Ton angelangt. Der wird auf beiden Seiten moniert und als Misstrauen interpretiert. Gemach: Wo persönliche Emotionen im Spiel sind, hat mensch selbstverständlich schneller die Tendenz, sich vom gehörten Ton ankratzen zu lassen und Formulierungen als fehlenden Respekt zu hören.
Fast zum Schluss noch ein paar Worte zu den Pastoralräumen. Das Bekenntnis zu den Orts-Pfarreien ist ja keine Ablehnung der Pastoralräume an sich. Jedoch ist leider nicht zu übersehen, dass der PEP über das Behaupten seiner pastoralen Anliegen nie hinaus gekommen ist und das Primat der Sicherstellung der traditionellen klerikalen Hierarchie alle pastoralen Themen jeweils aus dem Blickfeld drängte, was das grosse inhaltliche Engagement von zahllosen Katholiken in den Pfarreien immer wieder sabotierte und frustrierte.
In all dem wurden die Bistumsverantwortlichen immer wieder nicht als Hilfe und ohne pastorale Vision erlebt. Sorry, ich muss das so „unnett“ sagen.
Es ist sehr schade, dass die pastoralen Visionen des PEP nie die Oberhand gewinnen konnten. Aber ich vertraue auf den Geist, so dass mit der Zeit organisch pastorale Räume aus dem Boden der Pfarreien heraus wachsen werden.
Ich möchte Dir, Bischof Felix, danken für Dein Engagement für die Sorgen und Nöte der Seelsorgenden im Bistum. Wir alle lieben die Kirche, sonst würden wir uns nicht so engagiert dafür einsetzen. Selbstverständlich.
Ich freue mich darüber, dass ein Dialog mit Dir und Deinem Team möglich ist.
Lassen wir uns vom Geist leiten, wo unser Weg im Dienst des Reiches Gottes durch gehen kann, und schauen wir mit dem und auf die Herzen, wenn wir gemeinsam Lösungen suchen.
Verbunden in der heiligen Ruach mit Jesus, dem Christus
grüsse ich Dich respektvoll und freundschaftlich
Thierry Moosbrugger
Verantwortlicher für Öffentlichkeitsarbeit der RKK Baselland
Entspricht sehr genau dem, was mich selber motiviert, für die Pfarrei-Initiave gerade zu stehen!
hat mir gut gefallen!
erinnert inhaltlich und in der form an das herrliche büchlein : paulus “lieber bruder benedikt” im patmos verlag
Da hast du vieles auf den Punkt gebracht! Mir gefällt die Sachlichkeit einerseits und die Sprache, die den Brief gut ankommen lässt (hoffentlch).
Von einer solchen offenen, ehrlichen, engagierten und sachlichen Gesprächskultur kann ich im Moment nur träumen!!
Danke für dein Beispiel.