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Zahlen vs Boulevard: Auswärtsfans reisen friedlich
Fans, die ihre Vereine an Auswärtsspiele begleiten, sind meist auch am meisten für gute Stimmung besorgt. In letzter Zeit wurden vor allem die Extrazüge als Tatorte ausgemacht. “Fanarbeit Schweiz” wollte es wissen und hat akribisch Buch geführt. Die Zahlen zu „Ereignissen“ in den Extrazügen zu Fussball-Meisterschaftsspielen sind nun publik – praktisch unbemerkt von der Öffentlichkeit.
Neunzig Prozent problemlos
„Fanarbeit Schweiz“ hat in ihrem aktuellen Jahresbericht die Zahlen zu „Ereignissen“ in den Extrazügen zu Fussball-Meisterschaftsspielen erhoben. Die Ergebnisse unter dem Titel „Unterwegs zuhause“ sind beachtenswert. 2014 gab es 228 Fanzüge mit durchschnittlich 400 Fans. 90% davon verliefen gänzlich problemlos (80% der Züge) oder mit „kleinem Sachschaden“ (10%). Kleiner Sachschaden, das ist zum Beispiel ein zerbrochener WC-Spiegel oder eine aus dem Fenster geworfene PET-Flasche – vergleichbar mit „Ereignissen“ anlässlich Zugfahrten von Pfadi- und Jungwachtscharen in ihre Sommerlager; Schabernack, ärgerlich, aber ohne jeden Zusammenhang zur boulevardesk aufgebauschten „Fan-Gewalt“. Erstes Fazit: Neun von zehn Fanfahrten verlaufen friedlich.
Die offizielle SBB-Statistik von 2014 differenziert die „Ereignisse“ nach Vereinen. A propos „Ereignisse“: die SBB scheint dieses Wort zu lieben: ob eine PET-Flasche aus dem Fenster fliegt, ob die Handbremse gezogen wird, oder ob die Polizei Tränengas einsetzt: Alles ist „ein Ereignis“. Diese undifferenzierte Verwendung führt zu hohen „Zahlen“, was ohne genaueres Hinschauen den Mythos der gewaltbereiten Fans unterstützt.
Klassenbester und Sorgenkind
Zurück zu den Zahlen. Die SBB-Auflistung nach Vereinen zeigt, dass der FC Basel in der Super League auch im Bereich Fandisziplin Klassenbester ist, während die beiden Zürcher Clubs nicht nur sportlich zu den Sorgenkindern der Liga gehören. Die lamentable Stadionsituation dürfte auch hier ihren Teil dazu beitragen: Kein Stadion der Schweiz ist so atmosphärefrei wie der Letzigrund; wollen FCZ- und GC-Fans Fussballstimmung erleben, müssen sie Auswärtsspiele besuchen. Es ist nicht verwunderlich, dass sie dann bereits in den Zügen die fehlende Stimmung im eigenen Stadion (über-)kompensieren und immer wieder überborden. Auf der anderen Seite der Tabelle ist neben der Fanarbeit Basel auch die Vereinsführung mit ihrem Engagement in der Prävention und der nimmermüden Diskussionsbereitschaft mitverantwortlich dafür, dass die Basler Auswärtsfans weitestehend problemlose Reisende sind.
Pyros und Böller
„Pyrotechnisches Material“ ist ein weiteres Thema, das im Fokus der Öffentlichkeit steht. Gerade mal bei vier Prozent aller Fahrten wurden Fackeln gezündet, in nur neun von hundert Zügen die Notbremse gezogen (Tendenz sinkend), bei acht von hundert Fahrten gab es Rauchpetarden.
Die Entwicklung der letzten Jahre ist eine Frucht der Bemühungen von „Fanarbeit Schweiz“ und der Fanarbeit der Clubs. Das erfolgreiche „YB-Modell“, bei dem der Verein die Fanzüge quasi „chartert“, wurde zwar noch nicht nachgeahmt, weil die Frage nach der Haftung weiterhin ein Zankapfel zwischen SBB und Clubs bleibt.
Der Erfolg der Schweizer Fanarbeit zeigt sich letztlich auch daran, dass die vertragliche Zusammenarbeit mit der SBB nicht weitergeführt wird. Ganz einfach darum, weil die gemeinsamen Ziele erreicht wurden.
Jahresbericht von Fanarbeit Schweiz: www.fanarbeit.ch
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Kommentar:
Friedliche Fans auf Reisen – nicht interessant für die Öffentlichkeit
Praktisch unbemerkt von der Öffentlichkeit hat „Fanarbeit Schweiz“ Zahlen veröffentlicht, welche allen immer und immer wieder beschworenen Schreckensberichten Hohn spricht. Während der BLICK einen kreativen Sprayer-Scherz der FCZ-Fans gewaltlüstern zum „Krieg der Fankurven“ hochschreibt, nimmt sich kaum jemand die Mühe, die realen Zahlen anzuschauen.
Die Statistiken sprechen wieder eine klare Sprache: neun von zehn Auswärts-Fahrten verlaufen völlig problemlos und bewegen sich im gewohnten Rahmen, wo grosse Gruppen von Jugendlichen unterwegs sind. Was Jeder weiss, der Jugendliche nicht nur aus der Zeitung kennt: „Zunehmende, brutale Jugendgewalt“ ist ein Produkt von Politikern und Politikerinnen und entstammt nicht der Realität.
Klar: Wenn der Captain des FC Zürich im Fernsehen sagt, das Bewerfen von Spielern mit Glasflaschen “gehören zu einem Derby”, dann wähnt man sich im falschen Film. Wenn sein Präsident die Reaktion des Schiedsrichters, die Spieler schützen zu wollen, als “Provokation gegenüber den Fans” bezeichnet (“die Fans haben es gar nicht geschätzt, dass das Spiel unterbrochen wurde”), dann ist das höchst problematisch. Und Jagdszenen wie auf dem Bahnhof Pratteln oder als Waffen benutzte Böller wie im vergangenen Frühling sind alles andere als harmlos. Das ist hässlich und muss mit aller Härte und Konsequenz bestraft werden.
Beim Weg zu mehr Vernunft ist der FC Basel dem Rest der Schweiz auch hier eine Nasenlänge voraus: Ohne auf Repression zu verzichten, investiert die Vereinsführung in Prävention und Diskussion mit den Fans.
Was in jedem Schulzimmer bekannt ist, gilt auch in den jeweils „grössten Jugendzentren“ der Fussballstädte, was die Fankurven ja sind: Verunglimpfung, Kollektivstrafen und mediale Aufbauschung vergrössern das Problem, statt es zu lösen.
Vielleicht vermöbeln wild gewordene Fans bei nächster Gelegenheit wieder einen Zug – und werden hoffentlich zur Rechenschaft gezogen. Doch auch dann wissen wir: Es bleibt eine Ausnahme in einer weitestgehend harmlosen Freizeitbeschäftigung, was Fussballspiele in der Schweiz nämlich sind. Jedes andere Urteil ist nicht seriös.
Der Wechsel
…und dann wusste ich: Jetzt ist es an der Zeit. Zeit zum Loslassen. Zeit für eine neue Ära.
Seit elf Jahren begleitete ich meinen Sohn in die Muttenzer Kurve. Nun brauchte er meine Begleitung nicht mehr. Nach 35 Jahren MK wählte ich eine neue Wahlheimat im Joggeli.
Im Autoplay läuft nochmals der Film dieser elf Jahre an. Das erste FCB-MK-Spiel meines Sohnes mit 4 Jahren, sein erster „Barfi“ mit sechs, sein Erstkommunions-Geschenk das erste MK-Abo und seither das „Götti-Gschänk“. Nie hatte ich Angst mit ihm, auch nicht an jemem 13. Mai, dem Basler „Ground Zero“. Wir waren traurig und enttäuscht, verliessen das Stadion hinter der MK und gingen nach Hause. So einfach ging das, wenn man wollte. Fürs Protokoll: Ich hatte bei einem FCB-Match in der MK nie Angst, wenn ich mit meinen Kindern dort war. Das Joggeli war immer eins der ungefährlicheren Familien-Freizeitbeschäftigungen.
Die beiden Ausnahmen waren die FCZ-Pyrowerfer 2008, und als mein Sohn beim Spiel Luzern-Brasilien von Luzernern wegen seiens FCB-Schals angepöbelt wurde. Aber das war ja nicht in Zusammenhang mit der MK.
Fahnenmast mit Vorspiel
Der Film dreht weiter im: In den 80-ern war Treffpunkt „bei den Fahnenstangen“, meine überdimensionierte Fahne dabei, 90 Minuten vor dem Spiel, schliesslich wollte ich auch das Vorspiel nicht verpassen (Weiss noch jemand, was das ist?). Verbrennte Fahnen der gegnerischen Fans in der Pause kommen mir auch in den Sinn, von weither betrachtete Pausen-Schlägereien beim „Gellert-Tor“ inmitten des Publikums, FCB-Chênois vor 4500 Zuschauern (3:1, ich hatte meinen ersten Schulschatz mitgenommen). Fussball mit dem FC Basel war anders schön als heute, und überhaupt, ich sollte nicht nostalgisch werden.
Nun, ich befand: mein Sohn ist alt genug, seine nächsten Kurvenschritte ohne seinen Vater zu gehen. Er hat das Alter von Muris Rückennummer und ist ein toller Kerl.
Sicht vs. Stimmung
Und ich? Das Sicherheits-Netz wurde mir immer mehr zur Sichtbehinderung, im Veteranen-Alter keine Sünde. Die Stimmung genoss ich bis zum Schluss, aber musste von jungen Fans nicht mehr angemacht werden, wenn ich mit dem Natel die Choreo von „unten“ fotographierte. Und ich wollte mehr vom Spiel sehen. Wehende Fahnen vor den Augen in genau dem Moment, wenn ER einen Steilpass spielt, hatten begonnen, mich zu stressen. Alterserscheinungen eben.
Also gönnte ich mir ein Abo unten am Bahndamm. Wie wird das sein?
Gleich anders und anders anders
Nun: es ist anders. Na gut, das überrascht nicht. Aber es ist anders anders als erwartet.
Zuerst mal das erwartete „Anders“. auf Höhe Mittelline am „Regenrand“ zu sitzen, da geniesse ich den Fussball von ganz nahe. Ich höre die Spieler rufen und das Geräusch von Safaris Pässen. Ich sehe Xhaqas verdrehte Augen, wenn der Linienrichter falsch winkt und höre, wenn Suchy auf dem Rasen entlanggrätscht, ich sehe Gashis stetig entschlossenen Adler-Blick und Degens vor Tatendrang flackernde Augenlider.
Ich kann auch mal erst 5 Minuten vor Spielbeginn kommen, und ich kann in aller Ruhe die wunderschönen Choreos der MK fotographieren und meinem Sohn schicken. Ich merke, wie ich bei einem neuen MK-Gesang den Text nicht verstehe, und ich versuche manchmal, meinen Sohn im Pulk zu entdecken. Gleich beim ersten Spiel, an das er ohne mich ging, hat er sich einen Kurven-Pulli gekauft. Wunderbar. So muss es sein.
So weit, so erwartet anders.
Anstehen und Anstand – Ist die Wurst wurst?
Und es gibt auch „anders anders“, zum Beispiel das Catering. Am Anfang dachte ich, das ist irgendwie psychosomatisch, aber auch nach der fünften Gegenprobe bleibt die Frage offen: Wie kann es sein, dass die Bratwürste in der MK schmackhafter und besser zubereitet sind und die Brotstücke grösser? Auch nach vielen Spielen ist mir das immer noch ein Rätsel. Ist es nicht die gleiche Metzgerei, nicht das gleiche Catering? Mysteriös.
Ebenfalls mysteriös, überraschend und störend: Anstehen für Speis und Trank in der MK ist eine entspannte, lockere, anständige Sache, bei der jeder zuvorkommend in der Schlange wartet, bis er dran kommt. Diesen Basis-Anstand müssen die C-Zuschauer offenbar erst noch (oder wieder) lernen: Vordrängen, Ellenbogen, ein wilder Haufen vor jedem Stand.Schräg.
Die besten Trainer der Welt sind Rohrspatzen
Zugegeben, nur halb unerwartet: Im C sitzt eine Heerschar von Weltklasse-Trainern mit entsprechendem Selbstbewusstsein. Würde der FC Basel die Aufstellung und die Auswechslungen via Smartphone-App vom Sektor C bestimmen lassen – der FC Basel stände garantiert im Finale der Champions League. Mindestens.
Überraschend un-anders als in der MK ist jedoch der Wortschatz. Auch hier wird nach Herzenslust geflucht, die Ausdrücke umfassen den gesamten Körper und am liebsten südlich des Bauchnabels…
Irritierend anders anders: Werden in der MK die Gegner beschimpft, schimpft die Gegengerade mit Vorliebe über die eigenen Spieler.
Weitergeben des Feuers
Die „Subkultur Gegengerade“ barg also viele kleine Überraschungen für mich. Und ich erlebte erstaunt und erfreut, dass viele Vorurteile über „die MK“ oder „die Gegengerade“ eben genau das sind: VOR-Urteile.
Hier wie dort ist jedoch dasselbe gefragt: Humor, Gelassenheit, manchmal ein „Göschenen-Airolo“-Not-Schalter, Selbstironie. Es ist wie mit dem „einen Leib und den vielen Körperteilen“: An unterschiedlichen Orten funktioniert es anders, und durch alle Adern fliesst das gleiche FCB-Blut. Und wenn es klappt, dann wird der ganze Körper von Gänsehaut ergriffen, wenn das Stadion bebt.
Ich geniesse meinen neuen Stadionplatz, lasse mich auf neue Art vom Geschehen auf dem Rasen packen, und ich schaue mit Freude und Stolz auf die MK. Und ich weiss, irgendwo steht da auch mein Sohn. Denn Tradition, das ist nicht das Hüten der Asche. Tradition ist das Weitergeben des Feuers.