Home » Beitrag verschlagwortet mit 'bibel'
Schlagwort-Archive: bibel
“Moses” am Basler Theater: Wie eine Vision am Leben erhalten?
Was, wenn nach der Befreiung das Paradies einfach nicht kommen will? Wie soll ich Andere für eine Vision bei der Stange halten, wenn sie nicht sichtbar wird? Mit Gesetzen? Mit Autorität? Mit Gewalt? „Moses“ im Basler Theater wirft diese Fragen auf, sperrig und kantig wie der Bühnen-Schrottplatz.
Allerdings in permanenter Gefahr, unter dem seichten Alltagsmüll von Gags und Stil-Crossover begraben zu werden.
Die grossen „archaischen Grundkonflikte“ möchte Regisseur Simon Solberg zeigen, sagt er im Interview mit der Tageswoche. Wie kommt ein Revolutionär mit der Bürde klar, wenn er ein Volk aus (unfreien, aber) geordneten Verhältnissen in die Ungewissheit führt? Wenn quasi Gottes Wahlversprechen (das Land, in dem Milch und Honig fliesst) auf sich warten lassen?
Das sind universelle Fragen, zeitlos aktuell. Solberg zeigt Moses, wie er überhaupt nicht zum Helden werden will. Wie er überhaupt keine Lust hat, dass er dem jetzigen Pharao Plage um Plage androhen muss. Wir sehen, wie Moses seine (ist das wirklich seine?) Vision des befreiten Volkes immer wieder in sich bekräftigen muss. Wie der Pharao Mose in Versuchung bingt, er solle sich doch politisch engagieren für sein Volk, statt mit ihm auszuziehen.
Im Sandwich
Moses leidet wie sein Volk unter dem nicht enden wollenden Marsch durch die Wüste, leidet unter dem Versprechen, das er weiter gegeben hat und das noch so fern ist; Moses versucht einen Rahmen zu schaffen „to keep the dream alive“ (die 10 Gebote), und er wird immer müder und immer härter in der Sandwich-Position zwischen hungerndem Volk und ausbleibendem Ankommen am Ziel.
Bis er es nicht mehr aushält. Bis er dem Volk die Erlaubnis zur Gewalt an anderen Völkern gibt – und genau dafür wird Moses flugs maximal bestraft. Diesem Moses zu folgen, das ist spannend, das bewegt.
Gagismus als Versteck
Diese Moses-Geschichte, die passt auch durchaus auf den Schrottplatz der Inszenierung, sei es nun die Müllhalde der Geschichte oder der Schrottplatz unserer Gesellschaft. Da passt es durchaus, dass die Requisiten aus dem Müllhaufen gezogen werden: ein Lüftungsschlauch als Pharaonen-Schmuck, oder ein Autofelgen als Trauring. Passt.
Nur scheint es, dass Regisseur Solberg zunehmend Angst vor dem eigenen Mut bekommen hat und seiner Geschichte, die er erzählen will, eben doch nicht ganz über den Weg traut.
Um dieser Angst zu begegnen, wählt er die Mittel des Clowns. Zum Beispiel, sich der 10 Gebote für „gaaanz modeeernes Theaaaater“ zu bedienen. Zum Beispiel:
– Bringe alle zwanzig Sekunden einen neuen Gag.
– Zeig wenigstens einmal ein kopulierendes Paar und einen nackten Männer-Arsch.
– Zeige wenigstens einmal die Logos von Firmen-Multis in einem unmoralisch-kapitalistischen Zusammenhang, aber nur kurz.
So entsteht ein pausenloser Gag-Aktivismus, der mit der Zeit ermüdet und sich ins Gegenteil von Humor verkehrt. Letztlich entsteht der Eindruck, Solberg versteckt sich hinter diesem Brimborium, um das Publikum bei der Stange zu halten, weil er ihm die eigentliche Geschichte nicht zutraut.
München ist nicht Basel
Das beginnt schon beim Titel „Moses – ein mash-up Musical“. Solberg scheint dem Titel „Moses“ alleine nicht zu trauen und versieht ihn mit einem Begriff, der für jede erdenkliche Umsetzung als Entschuldigung dient, und mit einem Genre, das immer gut tönt. Nur: die Song-Schnipsel aus dem Musik-Haufen der Pop-Historie sind nie mehr als willkürliche Deko-Accessoires, immer unwesentlich für den Gang des Bühnenstücks, nur Teil der Gag-Staffage.
Solberg erzählt im Tages-Woche-Interview, die Begeisterung in der CSU-Hochburg München sei gross gewesen, auch und gerade in Kirchenkreisen. Nur, Herr Solberg, möchte ich sagen, wir sind hier nicht in Bayern. Basel bzw. die Schweiz ist doch einige Schritte weiter, hier hätten sie dem Publikum durchaus mehr von Ihrem Inhalt zumuten dürfen (wofür die mediokren Zuschauerzahlen in Basel ein Indiz sein könnten).
Gott als kiffender Penner, um zu zeigen, dass Gott dort ist, wo mensch ihn nicht erwartet: das mag in München vielleicht funktionieren, hier ist es banal geworden, um nicht zu sagen abgelutscht. Provokanter wäre hier ein Gott als Investment-Banker im Nadelstreifen-Anzug. Wenn schon.
Dein Gott ist ein böser Gott
Starke Theater-Momente gibt es trotzdem. Wenn Moses seinem Jugendfreund und Pharao all die Plagen androht, antwortet der leicht irritiert: „Dein Gott ist ein böser Gott.“ Er bringt damit ein Grundproblem des Ersten Testaments auf den Punkt, und Moses kann ihm prompt keine Antwort gebe.
Auch wie Solberg Moses‘ Sprache inszeniert, überzeugt: wenn er von der Vision der Befreiung gepackt ist, rappt er wie ein Grosser des Hip-Hop. Hingegen braucht er Aaron, um die Vision seinem Volk klar zu machen. Und wenn Mose verzweifelt ist und nicht mehr weiter weiss, zitiert er leise flehend Psalmen.
Es ist deutlich: wo Solberg Mose als Figur zeichnet, tut er das klug, vielschichtig und bewegend.
Schade, hat der Rest nicht ebenso vom Können des Regisseurs profitiert.
Anregung hinter der Gag-Kulisse
Nun: Soll mensch sich das anschauen?
Viele der „mash-up“-Szenen sind Ideen, die sich bei einem Glas Wein trefflich diskutieren lassen, auch wenn oder gerade weil sie nicht fertig gedacht sind: das Goldene Kalb als Love-Mobile zu Streetparade-Sound (und natürlich Techno als „natürlicher“ Feind von Hip-Hop), das merkwürdige Abtauchen von Mose zum Schluss, die Verfremdung der Dornbusch-Szene, wie die Hebräer die Plagen miterleben – und der Schluss. Der endet mit dem Appell an die Eigenverantwortung der Hebräer, jetzt, da der Führer Mose nicht mehr ist. Ein Appell ohne Saft und Kraft, wie eine Durchhalteparole bei einem Fussballverein vor dem sicheren Abstieg.
Und so bleibt die Frage im Theater offen: wie halten wir eine Vision am Leben? Die Bibel beantwortet die Frage anders, und beiderorts lohnt es sich, darüber zu diskutieren.
Deshalb empfehle ich:
wer sich den Blick auf das Wesentliche nicht durch Lärm und Gag-Brimborium benebeln lässt und gerne weiterdenkt, dem sei „Moses“ herzlich empfohlen.
Wen Krach und pausenloses Crossover auf allen Ebenen abschreckt – dann lieber die gute ARD-DVD „Moses“ mit Ben Kingsley von 1995.
In beiden Fällen gilt: „Moses“ macht Lust, Moses in der Bibel (wieder) zu entdecken.
Thierry Moosbrugger
Bibelstunde mit Lady Gaga
„Judas“ von Lady Gaga hat den erwarteten Skandal produziert. Dabei stellt sich die Sängerin in eine lange Tradition von Pop-Songs, die sich von der Bibel inspirieren lassen. Biblischer Tsunami und Spiegelkabinett in einem.
Die Jünger und Jesus als Hells-Angels-Rocker, Maria Magdalena mit Jesus und Judas im Whirlpool, hin- und hergerissen zwischen dem, was sie eigentlich möchte, und der ach so süssen Verführung.
Eigentlich muss man sich schon fragen, wieso es der Kirche nicht gelingt, hinter die blinkende Oberfläche von Pop-Songs zu blicken und die ungemein spannende Essenz als Inspiration nimmt, statt lauthals und stereotyp einen „Skandal“ zu propagieren.
Kja-baselland schaut genauer hin. …und erstmal zu den Pop-Wurzeln von Lady Gagas Song.
Jesus Christ Superheld
„Maria Magdalena“ war 1985 der Megahit der deutschen Sängerin Sandra.
Und kurz darauf war es Madonna, die in schöner Regelmässigkeit biblische Themen aufnahm und ebenso regelmässig einen Aufschrei der Kirchen produzierte.
Im Video zu „Like A Prayer“ (1989) erweckte Madonna eine schwarze Jesus-Statue zum Leben und liess sich von ihm küssen, und in ihrer Tournee 2006 liess sie sich ans Kreuz hängen.
Angefangen hat das aber in der Flower-Power-Aera mit dem Musical „Jesus Christ Superstar“ Anfang der 70-er Jahre . Die Hippies sahen im „wirklichen“ Jesus einer der Ihren, da sich Jesus um diverse gesellschaftliche Grenzen foutierte, wenn sie die Menschen unterdrückte.
Und so war der Superstar-Jesus natürlich auch schmal, bärtig und langhaarig, begleitet von dröhnenden Rock-Gitarren.
Die Jesus-Geschichte ist ja auch reif an Hollywood-Motiven: ungelebte Liebe, ein Volksheld mit Superhelden-Qualität, Verrat unter Freunden, Mord und Totschlag, Mystery-Elemente danach (Ostern).
Schon rein vom Drhebuch her ist es kein Wunder(!), dass Teile der Jesus-Geschichte während 2000 Jahren immer wieder in neuen Versionen und Clips ge-„remaked“ wurde.
Rechtmässige Nachfolgerin von Madonna
Aber zurück zu Lady Gaga. Sie ist die rechtmässige Nachfolgerin von Madonna, und sie hat ihr Erbe auf ein neues Level weitergeführt und noch einmal schärfer auf den Punkt gebracht.
Es wundert deshalb nicht, dass nun auch die Bibel in ihr Repertoire Einzug hält, und wie sie das macht, ist einfach erst mal klasse Handwerk.
Der Clip, mittlerweile das Markenzeichen jedes Pop-Songs, ist protziger Disco-Trash vom Feinsten, enthält zahl-(und wahl-?)lose Anspielungen auf biblische Elemente und bewusste Cross-Milieu-Provokationen, die ebenso schön trashig wie bewusst schnoddrig aufpoliert sind.
Lady Gaga selber sagt zum Video-Clip: „Das war der spannendste künstlerische Moment meiner Karriere. Es ist das Grösste, das wir je geschaffen haben.“
Die Geschichte, die das Video erzählt
Das Video zu “Judas” beginnt damit, dass die zwölf Apostel auf Motorrädern auf der Autobahn fahren. Sie fahren zu einer Party eines Biker-Clubs, die in einem stylishen Mix zwischen Underground- und Zigeuner-(also Aussenseiter-)Ambiente stattfindet. Dort wird Judas in eine Schlägerei verwickelt.
Maria Magdalena will Jesus eigentlich vom bevorstehenden Verrat durch Judas erzählen, erliegt aber dessen Reizen. In die Handlung eingestreut sind Tanzsequenzen und Grossaufnahmen von Lady Gaga, die wie das Auge des Horus (der ägyptische Königs- und Licht-Gott) geschminkt ist. Das blaue Top, das Gaga trägt, verweist auf den blauen Mantel von Maria, welches den Sternen-Himmel und das Universum darstellt. In der Mitte des blauen Tops prangt gross das Symbol für das “Herz Jesu”. Bei der Zeile “Build a house” zeigt Gaga auf Simon Petrus.
Nach dem zweiten Refrain hält die Sängerin Judas eine Pistole an den Mund. Ein Lippenstift kommt herausgeschossen und beschmiert seine Lippen. Dann sieht man Judas, Jesus und Maria Magdalena in einer Badewanne, wobei sie ihnen die Füsse wäscht.
Danach stoppt die Musik und Lady Gaga wird von spritzenden Wassermassen überspült (die Szene ähnelt auch ein wenig der Geburt der Venus), das Rauschen dröhnt aus auch den Lautsprechern.
Als die Musik wieder einsetzt, wird Jesus vor seinen Anhängern durch den Judaskuss verraten. Das Video endet damit, dass Maria Magdalena von der Menge gesteinigt wird.
Die Anziehungskraft der dunklen Macht
„Judas“ hat inhaltlich zwei Rote Fäden, die grundlegende menschliche Gefühle aufnehmen, die jeder Mensch kennt.
Lady Gaga ist zwischen Judas und Jesus hin- und her gezogen. Sie weiss um das, was sie „sollte“, und wird doch unwiderstehlich vom Anderen angezogen, vom Dunklen, Verruchten – ein Gefühl, das jeder Mensch kennt, und dem Jeder Mann und jede Frau mal gerne nachgeben würde oder nachgibt – und wenn man solche Gefühle zu lange unterdrückt hat, wird man von ihnen wie von riesigen Wellen verschlungen und mitgerissen.
Der zweite Erzählstrang: Lady Gaga singt von einer Liebe, die sie selbst zerstört, und von der sie doch nicht los kommt. Auch dieses Gefühl ist den meisten Menschen bekannt.
Bei aller Kritik ist es eindeutig Lady Gagas Verdienst, diese menschlichen Grund-Erlebnisse mit Jesu Geschichte verbunden zu haben. Sie zeigt damit, wie tief die biblische Wahrheit in die menschliche Seele hinab reicht.
Tsunami an biblischen Anlehnungen
Neben dieser „Grundgeschichte“ überwältigt Lady Gaga die Zuschauer mit einem Tsunami an biblischen Bildern und Anspielungen, wild durcheinander gewirbelt, die immer den Eindruck wecken, man könnte hier einen tieferen Sinn finden, wenn man nur genug tief gräbt – ein hoffnungsloses Unternehmen, man verliert sich schnell im Spiegelkabinett des Videos.
Nur ein paar Anklänge seien hier genannt: Jesus und die Jünger leben ausserhalb der feinen Gesellschaft; es gibt die Fuss-Salbung und die Fusswaschung; es gibt die Sintflut, die Kirchengründung durch Petrus, den Verrat und die Steinigung, und und und…
Wer sich den Clip mehrmals anschaut, wird noch mehr finden.
Alleine mit der Liedzeile «Judas küss mich, wenn ich dir Unrecht getan habe, oder trage das nächste mal ein Ohrenkondom» trägt gleichzeitig mehrere unterschiedlichste Ebenen in sich: der Judaskuss, der diesmal berechtigt sein könnte, ein Kuss als Versöhnung, aber auch der Knecht des Hohepriesters, dem einer der Jünger mit dem Schwert ein Ohr abschlägt, und natürlich die Kondom-Thematik Roms, undsoweiter.
Unterrichts-tauglich
Es wäre so einfach wie eigentlich auch empfehlenswert, mit Lady Gagas „Judas“ ein ganzes Quartal an spannenden Religions-Unterrichts-Stunden zu gestalten.
Die unzähligen Ebenen von religiösen Symbolen, menschlichen Gefühlen, biblischen Geschichten, Übertragungen ins Heute (die Jünger als gesellschaftliche Outlaws zum Beispiel) ersetzen wohl einen ganzen Schulordner an Arbeitsblättern und Themen-Einstiegen.
Man müsste Lady Gaga fast dankbar sein für dieses attraktive Material, das sie uns geliefert hat…
Links:
Einstieg zu Lady Gaga (wikipedia)
Auszug aus einem exzellenten Interview, das zeigt, worauf es Lady Gaga ankommt
kja-baselland, 3.6.2011