Wir sind Fasnacht 2013 (Teil 3) – Kirche und Kultur Hand in Hand
Im dritten Teil unseres kirchlichen Fasnachts-Umblicks kommt die Basler Don Bosco und leerstehene Kirchen in den Blick. Wir entdecken die enge Verbindung von Religion und Fasnachts-Humor und realisieren die enge Verknüpfung von Fasnacht und Fastenzeit.
“Dr Letscht löscht s Liecht”?
“Was machsch mit lääre Kirche?” Dass Kirchen mit leeren Kirchen kämpfen, ist für zwei Cliquen Anlass für ein Sujet.
Die Muschgetnüssli benennen ihre Laterne nach der leer stehenden “Don Bosco”-Kirche und sagen “dr Letscht Löscht s Liecht”; sie bedauern ganz offenbar die lebendige Pfarrei-Geschichte, welche damit zu Ende geht.
Dieser Verlust dient ihnen aber nur als “Einführung”, um vom Heiligen Don Bosco auf einen anderen “Basler Heiligen” überzuschwenken, der sich als “Santo Fumare” für die Rechte der Raucher einsetzt und die Kirche als Fumoir benutzen könnte – quasi Nikotin- statt Weihrauch.
Die alte Garde der Schnooggekerzli widmet sich dann ganz dem Thema Kirchenumnutzung:
Sie verortet die Gründe für leere Kirchen in der Vielfalt der Möglichkeiten, nach seiner Façon glauben zu können, wie eine Laternenseite zeigt, und lässt einen verzweifelten Pfarrer auf seiner Kanzel fragen: “Simmer nit e bitzli dumm, ganz ohni Evangelium?”
Das “Spil” (also Pfeifer, Major und Tambouren) kommt als verschiedene (traurige) Münster-Figuren daher. Die Clique meint dazu, dass die Figuren “wie d Kirche nümm so rächt in die hütigi Zyt passe”.
Im Vakuum von “nicht mehr” und “noch nicht”
Das Alte passt nicht mehr, das Vakuum hinterlässt Unwohlsein, Antworten scheinen keine da… – der Zug zeigt sehr schön die Misère, wie sie von aussen vielerorts wahr genommen wird.
Interessant dabei ist weiterhin: Einerseits wird gerade von aussen seit Jahrzehnten gefordert, dass Kirche nicht primär im Gottesdienst “passiert”. Die Kirche hat gerade dies geradezu vorbildlich umgesetzt und funktioniert heute als “Sauerteig in der Gesellschaft” auf tausend Arten – allerdings ohne dass dies von der breiten Öffentlichkeit wahr genommen wird (vielleicht fehlen dazu die symbolträchtigen Bilder?).
Und weiterhin sitzt die falsche Gleichung “leere Kirchen = leere Kirche” in den Köpfen der Gesellschaft wie Schimmel in den Ritzen eines alten Brotkorbes. Hier ist weiter vertieftes Nachdenken gefragt, um zu einer neuen “Gleichung” zu kommen.
Christliche Werte im humoristischen Unterbewusstsein.
Religiöse Bilder werden an der Fasnacht immer auch wieder eingesetzt, um ganz andere Botschaften verständlich zu machen – was zeigt, wie fest das christliche Glaubensgut im “Werte-Archiv” der Gesellschaft verankert ist. Zwei Laternen als Beispiel:
Am Margarethenhügel sollte eine sehr sinnvolle Tramstrecke gebaut werden. Doch weil da eine seltene Schneckenart wohnt, erscheint Maria höchstpersönlich auf der Laterne, die sich den Schnecken annimmt und deren Schutz auf quasi-religiöses Niveau hebt. Und tatsächlich: die Tramstrecke muss den Schnecken weichen. Ähnlich erhält ein Basler Regierungsrat einen Heiligenschein, um zu zeigen, wie er sich für ein Basler Quartier einsetzt.
Noch mehr verwebt sich Humor und religiöse Kultur in vielen Miniaturen auf Laternen. Sei es ein im Grunde sackfrecher Vers über menschliche Grundbedürfnisse, welche aber in liebevolle Worte gekleidet schon fast zärtlich daherkommen, oder dann in den Wortwitzen der Schnooggekerzli-Laterne, welche immer mindestens zweimal übers Kreuz gedacht sind.
Die einzelnen Witze brauchen keine Erklärung, aber sie zeigen, dass die religiöse Kultur weiterhin eng mit der Alltagskultur verwoben ist.
Das Vorspiel zur Fastenzeit
Die Fasnacht bietet der Kirche ein schönes Spiegelbild, wie sie wahr genommen wird. Vieles ist verzerrt, überzeichnet, vereinfacht, manchmal von falschen Vorurteilen geprägt. Immer aber ist sie ein Angebot, genauer hinzusehen, über die eigenen Unzulänglichkeiten zu lachen, und genauer zu fragen, wieso uns das eine oder andere trifft oder ärgert.
Die Fasnacht ist grundsätzlich eine Einladung, die Haltung zu kultivieren, sich nicht tierisch ernst zu nehmen. Damit bereitet sie im Grunde perfekt auf die Fastenzeit vor.
Denn wenn die Fasnacht die “äussere Freiheit, alles sagen zu dürfen” zelebriert, so legt sie damit den roten Teppich für die Fastenzeit aus, welche von innen heraus diese Freiheit sucht, sich aufs Wesentliche zu besinnen, in der Gabe, sich nicht tierisch ernst zu nehmen, und im Wissen, dass wir alle zu Asche werden.
Damit ergibt sich ein erstaunlicher Schluss: eigentlich sind diese Regionen am nähesten bei der Fastenzeit, welche mit der Fasnacht als ihr Vorlauf aussen und innen verbinden – weil wahre Ernsthaftigkeit nur dort wächst, wo sie von Humor geerdet ist.
Im letzten Teil schauen wir und den Zug der “Junteressli” an, die mit “Higgs! Higgs! Hurra!” ein grundsätzliches Thema der Religion ausspielen, was cliquen-intern nicht ohne Reibereien abging.
Wir sind Fasnacht 2013 (Teil 2): Paparätschi – wer erhält hier Schimpfis?
Im zweiten Teil des Fasnachts-Kirchen-Rückblicks schauen wir auf die eine grosse Umsetzung eines Kirchen-Themas: die Vatileaks-Affäre hat die Sans-Gêne-Clique zum vieldeutigen Sujet “Paparätschi” inspiriert. Was steckt da dahinter?
Das Wort-Spiel im Sujet-Titel hat bereits mehrere interessante Ebenen, die sich vermischen: Da ist die sensationslüsterne Öffentlichkeit (Paparazzi), die dem Papst gegenüber steht, und sein “Kosename” (Papa). UND das wird mit einem Kinderwort kombiniert (ein “Rätschi” ist eine “Petze”), mit dem Eltern ihre Kinder massregeln; damit stellt sich der Titel grundsätzlich auf die Seite des Papstes, was doch überrascht.
Grimmiges Schwarz-Weiss
Die Pfeifer und Tambouren hingegen, als grimmige Kardinäle comic-mässig karikiert, zeichnen (sogar wörtlich) das übliche schwarz-weiss-Bild, das den Vatikan mit üblen Machenschaften verbindet.
Die Mehrbödigkeit erscheint bei den Prunkstücken des Zuges, bei der Laterne und beim Tambourmajor. Der Major stellt den Papst als überdimensionalen tropfenden Hahnen dar. Der steht einerseits für das Vatileak-Leck, “nicht ganz dicht” enthält aber auch die mögliche Assoziation auf das Alter und die Haltung des Papstes.
Die verschiedenen Ebenen werden nicht ausgedeutet. So bleibt der Tambourmajor als Ganzes schillernd, mächtig und bedeutungsvoll, ohne zu verletzen.
S/W contra schillernde Symbole
Ähnlich verhält sich die Laterne: Die Vorderseite zeigt ein schwarz-weisses Papst-Portrait im Stempel-Stil (mit aktuellem “Überschrifts”-Schild), das zuerst keine Aussage zu machen scheint. Erst unten links stösst man auf einen farbigen Ecken, in dem ein teuflischer Kardinal als Marionetten-Puppe vom Papst geführt wird – und erst auf den zweiten Blick sieht man, dass dieser Kardinal eine Frau an der Hand nimmt. Vom kleinen Ecken aus wird also die gesamte Situation als verlogen und unmoralisch kennzeichnet.
Die Rückseite spielt mit den Bedeutungsebenen wie die Figur des Majors: der Papst hält eine zerborstene Kloschüssel in die Höhe. Sie steht für das Info-Leck von übelriechenden Informationen. Aber “e Sprung in dr Schüssle”, das heisst eben auch “einen Ecken ab” haben, “ver-rückt” sein und deutet darauf hin, wie der Künstler die gesamte Situation im Vatikan beurteilt.
Wie beim Major ist auch dieser Symbol-Gegenständ aus dem “Klo-Bereich”, trägt Respektlosigkeit in sich, aber durch die Vieldeutigkeit bleibt auch die Laternenrückseite schillernd, und man kann ihr nicht direkt vorwerfen, den Papst verletzen zu wollen.
Eine Minute für die Message
Als ganzes verbreitet der Zug grimmig-kalte Atmsphäre – so wird die Energie, die vom Vatikan ausgeht, von den Sans-Gêne offenbar wahr genommen. Und in dieser Grundstimmung hat der tropfende (Informations-)Hahnen das einzig Lebendige an sich, das einen lachen lässt.
Und so muss man konstatieren: Die Vieldeutigkeit geht im vatikanischen Grimm beinahe unter; Sympathie-Träger mitten in dieser unsympathischen Welt ist überraschenderweise der “tropfende Papst-Major” – dessen unsympatische Seite auf der Laterne wird im Spiel quasi “aufgelöst” und von Mitleid abgelöst.
Als Ganzes bleibt die Vielschichtigkeit der Gefühle gegenüber dem Papst erhalten und der Papst bleibt zwischen Opfer- und Täterschaft schillernd und zwiespältig.
Immer ist zu bedenken: eine Clique hat etwa eine Minute Zeit, während der das Publikum die verschiedenen Bilder “lesen” kann (vom ersten Vorträbler über die Laterne bis zum letzten Trommler) – Vor diesem Hintergrund sind es immer die grossen Bilder und nicht die feinen Details, welche die “Message” vermitteln.
Im nächsten Teil werfen wir einen Blick auf die Kirchen-Umnutzung und auf die Verwurzelung von religiösen Bildern und Fasnachts-Humor.