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Wie ich zum coolsten Zugticket meines Lebens kam
Auch ich habe nun “meine ganz persönliche Geschichte mit der Deutschen Bahn”. …und eine Einladung in Kapstadt…
Familienfest in Nordrhein-Westfalen, Hinreise. Die ersten 5 Stunden haben wir in 4:59 erreicht, für die letzten 15 Minuten brauchen wir zwei Stunden, und dies auch nur deshalb, weil uns mein Schwager dann schlussendlich mit dem Auto holen kommt…
So gewappnet, nehmen wir für die Rückfahrt einen früheren Regionalzug, um in Essen ja rechtzeitig auf den „EC 09“ zu kommen – auch wenn uns die DB-App darüber informiert, dass dieser in Hamburg mit 13 Minuten Verspätung losfuhr (wegen „verspätetem Zugspersonal“ – gehört das bereits zu „Informationen, die es nicht besser machen“?).
Na gut, der Zug fährt dann um 10:11 Uhr mit lediglich 11 Minuten Verspätung ein.
Anständig wie wir sind, lassen wir erst die Leute aussteigen, und wohl wegen der Verspätung bleibt das Zugpersonal in ihren gelben Westen an der Tür im Zug drin.
Dann: Partnerin und Kinder steigen ein, vor mir stehen zwei Frauen aus Südafrika mit grossen, borzig gefüllten Koffern. Ich frage das Zugspersonal, ob sie den Frauen helfen könnten, die Koffer in den Zug zu hieven, und stelle mich nebenan. Während(!) das Zugspersonal den ersten Koffer in den Zug hievt, schliessen die Türen. Das Zugspersonal winkt und gestikuliert und fingert an verschiedenen Orten innen an der Türe herum, wie ich vom Perron her sehen kann. Aussen am Zug ist der „Türe-öffnen“-Schalter bereits deaktiviert, und wenige Sekunden danach setzt sich der Zug in Bewegung – die beiden Frauen und ich auf dem Bahnsteig, deren Koffer (mit Medikamenten, Verpflegung und Geld) und meine Begleitung (mit Zugticket) im davonfahrenden Zug. Meine Partnerin sehe ich, wie sie im Panorama-Wagen ungläubig den Kopf dreht und mir auf dem Gleis nachsieht…
Zuerst bin ich sprachlos, dann braucht ich eine halbe Minute, um die Wut wegzuatmen und meine Fassung wieder zu erhalten. „Was für eine verd… Frechheit“ war noch das geringste der innerlich herausgeschrienen Schimpfworte.
Dann klingelt mein Natel, meine Partnerin fragt, was auf dem Gleis passiert sei. Ich erzähle und ende damit, dass ich jetzt mit den beiden Südafrikanerinnen schaue, was wir tun können. Sie wiederum will mit dem Zugspersonal sprechen.
Ich teile meine Wut mit den beiden Frauen, die immer noch ganz ausser sich sind. Dann zu Dritt zum Informationszentrum der DB. Hinter dem Schalter sitzt eine junge Auszubildende und neben ihr eine Fachperson, die ihr jede Handlung und jede Antwort erklärt, die sie auf die Fragen der Menschen vor dem Schalter zu geben hat. Der andere Schalter ist leer. Hier und auch in der Folge sprechen die Beamt:innen ebenso kaum Englisch wie Maria und Salma kein Deutsch, sie sind eigentlich in Zürich zu Gast und haben nur das Wochenende in Deutschland verbracht.
Erste Info aus dem Zug: das Personal werde den Koffer in Köln abgeben, damit Maria und Salma ihn dort holen können. Da deren Zielbahnhof jedoch Zürich ist, würde darurch das Ganze noch nochmals komplizierter, weshalb meine Partnerin im Zug drin vermittelt, dass der Koffer in Zürich beim Fundbüro abgegeben würde.
Mit dem Bahnhofsangestellten geht es quer durch den ganzen Bahnhof ans andere Ende zum Ticektzentrum. Auch wenn ich keine Zeit hatte, mich gedanklich genauer darauf einzulassen, fällt mir wieder auf, wie baufällig der ganze Bahnhof ist, das war mir im ganzen Ruhrpott immer wieder aufgefallen, die grossen Aufbau-Investitionen scheinen in Deutschland überall hingegangen zu sein ausser in diese Region.
Mittlerweile ist die Schlange hinter uns zügig angewachsen, und die Wartenden zunehmend genervt, verständlicherweise. Wir lassen Einige vor, welche sich nach Gleisänderungen oder Tramlinien erkundigen. Dann kommt ein anderer Bahnangesteller, der unsere Geschichte schon kennt und recht barsch sagt, also im Bahnhof Zürich müssen sie dann selber suchen, wo der Koffer abgegeben würde. Ich beruhige die zwei Frauen, ich würde dann via meiner Partnerin herausfinden lassen, wo genau die Zugsleute den Koffer hinbringen würden.
Im Ticketzentrum muss der Angestellte der Deutschen Bahn dann selber warten, bis eine Zuständige sich um ihn kümmert bzw dann um uns. Als erstes stellt die Frau am Schalter Maria und Salma ein Ticket aus, das für jeden Zug gültig war. Unkompliziert und ohne grosses Hinterfragen – dass die Angestellten der Deutschen Bahn sehr hilfsbereit sind im Aushelfen nach Pleiten und Pannen, das habe ich schon mehrfach gehört…
Gerade als der Drucker die Tickets ratternd ausdruckt, klingelt wieder mein Telefon: Meine Partnerin hat mit der Zugsbegleiterin einen genialen Work-Around herausgefunden – dank der Tatsache, dass unser Original-Zug ja verspätet unterwegs ist.: Wenn wir pressieren und in drei Minuten auf dem richtigen Perron sind, können wir den Zug nach Köln erwischen, dort „rechtsheinisch“ in Richtung Mannheim umsteigen, wo wir dann mit Glück beinahe gleichzeitig mit dem Ursprungszug eintreffen könnten (der die malerische und leicht weitere „linksrheinische“ Strecke fährt).
„Also, das machen Sie jetzt“, sagt die Schalterbeamte. „Und wenn ich Ihnen das Ersatzticket via Comuter ausstelle, reicht Ihnen das nicht. Ich schreibe Ihnen das jetzt von Hand – und dann nehmen sie die Hände unter die Füsse!“ – Sagts, kritzelt von Hand ein paar Worte auf einen Notizblock, knallt einen Stempel drauf, und drückt mir dieses „Ticket“ mit den Worten in die Hand: „Zeigen Sie das dem Schaffner – und tschüss!“
Wir rennen also zurück durch die Unterführung und treffen gleichzeitig mit dem Zug auf dem Gleis ein. Weil der Verspätung hat, haben wir ihn erreicht.
Uff. Wir sitzen, und erst ein paar Minuten, nachdem unser Adrenalinpegel unter das „Achtung Katastrophe!“-Level gefallen ist, kommen wir dazu, uns gegenseitig überhaupt vorzustellen. Maria und Salma betreiben eine Taschenherstellung und wurden von einem Bekannten in Zürich eingeladen, ihre Werke hier vorzustellen (crochet collections – soviel Werbung darf sein 🙂 ).
Für mich ist klar: auch wenn wir einen Anschlusszug verpassen, von Köln komme ich dann schon irgendwie nach Basel. Für Salma und Maria ist es hingegen dramatischer: das Drama beim Einsteigen und der grosse Reisekoffer mit allen Habseligkeiten in einem fremden Land weg, das entspricht eher nicht dem Bild, mit dem sie aus Südafrika nach Deutschland gekommen sind…
Und vielleicht war es eben nicht nur Zufall, dass ich mit ihnen auf dem Bahngleis zurückblieb und sie so nicht ganz alleine waren in ihrem Albtraum in dem für sie fremden Land. Ihre Dankbarkeit drücken sie unter anderem in einer Einladung zu ihnen aus, inklusive Südafrika Grilliererei…
In Köln kommen wir (natürlich) später als geplant an, und der Anschlusszug nach Mannheim – München ist (natürlich) ebenfalls verspätet. So reicht es für ein „Ussie“, bevor wir in den „Zug der Entscheidung“ einsteigen.
Immer wieder erhalte ich Informationen aus dem Originalzug von meiner Partnerin, die permanent mit dem Zugspersonal in Kontakt ist. Und die wiederum haben sich über ihren unverschämten Lokomotivführer möglicherweise selber so aufgeregt, dass sie alles tun, um so viel wie möglich gut zu machen. Sie telefonieren aus ihrem Zug in den jeweiligen Zug, wo wir drin sind, damit die Billetkontrolleure dort wissen, dass es drei „gestrandete“ Fahrgäste hat. Und prompt wirft der Kontrolleur dann lediglich einen Blick auf mein „Ticket“ und sagt wissend „Ah, ja!“, bevor er weiter geht.
Dann wird’s ein weiteres mal spannend: Der linkrheinische Originalzug und unser rechtsrheinischer Zug treffen beide jeweils verspätet und auf die Minute gleichzeitig in Mannheim ein. Meine Partnerin lässt mir ausrichten, wir sollen unbedingt als erste an der Ausgangstüre sein! Sie fragt mich, in welchem Wagen wir seien (es ist die #11), also müssen wir dann rechts losrennen, sagen die Zugsbegleiter in ihrem Zug, auf Höhe von Wagen #9 seien die Treppen zur Unterführung, und dort dann rechts, um von Gleis #5 zu Gleis #8 zu gelangen. Fotofinish!
Als wir wie 100-Meter-Sprinterinnen in den Startblöcken vor der Ausgangstür warten (um nicht zu sagen „mit den Füssen scharren“), kommt die Durchsage, der „EC Null-Neun“ würde nicht warten und sei „für Sie, liebe Fahrgäste, leider nicht mehr erreichbar“. Der nächste Zug nach Basel fahre in 45 Minuten. Diese Info erspare ich den beiden südafrikanischen Gästen.
Dann: Zug hält – Türe geht auf – losrennen! Ich mit Tasche, sie mit dem anderen grossen Koffer – Treppe runter – durch die mit Menschen gefüllte Unterführung – bei Gleis #8 die Treppe rauf – Blick nach links – und ein Blitz der Enttäuschung: Kein Zug steht da, wir scheinen ihn verpasst zu haben. Mist! Doch dann ein zweiter Blick: da stehen ja viele Menschen auf dem Bahnsteig! Blick nach oben zur Anzeigtetafel, und siehe da: „Unser“ Zug ist noch gar nicht eingefahren!
60 Sekunden später kommt er, und nochmals 60 Sekunden später sitzen Maria und Salma auf ihren Plätzen mit beiden Koffern, und auch sitze dort, wo ich schon in Essen hätte sitzen sollen.
Meine Partnerin erzählt mir, die Zugsbegleiterin habe sie laufend informiert und alles gegeben, um die Scharte des Lokomotivführers auszuwetzen. Innerlich wünsche ich mir natürlich, sie habe dem Lokomotivführer ordentlich ihre Meinung gegeigt. Doch meine typisch schweizerische Nettigkeit führt dazu, dass ich das nur denke. Möglicherweise war die Zugsbegleiterin ja noch nie so glücklich um weitere Verspätungen auf der Strecke, weil das die Chance erhöhte, dass wir unseren “Original-Zug” wieder einholen können 😊.
Als sie selber zu uns kommt, bittet sie mehrfach um Entschuldigung und ist sichtlich glücklich, dass dieser Notfallplan aufgegangen ist.
In Basel kommen wir dann lediglich 12 Minuten verspätet an, Maria und Salma sind später pünktlich in Zürich. “You are evidence that good people exist”, schreibt sie mit einer Einladung zu einem Grillfest, sollten wir mal in Kapstadt sein. Im Laufe der zweiten Woche in Zürich wollen sie einen Ausflug nach Basel machen, und in wesentlich entspannterer Atmosphäre werden wir sicherlich mit der Fähre über den Rhein fahren. Der Fährimann wartet ja immer, bis alle an Bord sind…
Ostern ohne Planungssicherheit
Im Januar hat mir eine Nachbarin geholfen, das Apfelbäumchen vor dem Haus zu schneiden, damit es gut und gesund wächst. Die abgeschnittenen Zweige legte ich neben dem Bäumchen auf die Bodenplatten, ich würde sie dann gleich wegräumen. Also…, gut, später. Morgen. Übermorgen. Doch, auch übermorgen liess ich die Zweige am Boden liegen. Es wurde nächste Woche. Es wurde Februar … es wurde Fasnacht … es wurde Fastenzeit … die Zweige lagen immer noch achtlos neben dem Bäumchen auf dem Boden.
Als ich am Karfreitag nach der Kreuzfeier von der Offenen Kirche Elisabethen nach Hause kam, fiel mein Blick auf die Zweige, und ich beschloss, mit den Zweigen mein traditionelles persönliches Karfreitagskreuz zu machen, wie jedes Jahr, Symbol für das Leid, das ich dann ebenfalls symbolisch im Osterfeuer am Sonntagmorgen verbrennen würde, wie immer.
Ich sammelte die Zweige also zusammen, legte sie auf den Esstisch, holte Schnur und Schere aus der Küche, und setzte mich hin.
Und was sah ich beim Zusammenbinden? Die Zweiglein haben Knospen gebildet. Trotz Frostnächten, abgeschnitten vom Baum, ohne Verbindung zum Boden haben die Zweige immer noch so viel Kraft in sich, dass sie neues Leben entwickeln. Was ist denn das für ein Wunder!
Also nein. Dieses Kreuz möchte ich nicht ins Feuer geben. Ich holte eine Vase hervor, füllte sie mit Wasser, irgendwo fand ich noch ein Beutelchen mit Blumennährstoffpulver. Und so stellte ich das gegen jede Erwartung blühende Kreuz aus Zweigen hinein.
Ostern schon am Karfreitag, quasi.
Und dann kommt der Ostermorgen. Die warmen Kleider liegen bereit, damit ich die Osterfeier um 05:15 geniessen kann. Der Wecker auf 04:25 Uhr programmiert, damit ich schlaftrunken und mit genügend Zeit zur Kirche in die Innenstadt fahren kann. Ich schlafe vorfreudig ein, Ostern ist mein Lieblingsfest.
Als ich erwache, ist dies jedoch nicht durch die Weckerklänge, ich fühle mich merkwürdig frisch, durch die Fensterläden dringt Tageslicht. Ein erschrockener Blick auf die Uhr, und die zeigt 06:25 – SCHOCKSCHWERENOT! und gleich noch ein nicht druckbarer Fluch aus Käpt’n Haddocks cholerischem Wortschatz.
Und noch einer.
Ich setze mich wütend und frustriert an den österlich gedeckten Tisch im Esszimmer und hocke eine Weile mit einer inneren Leere einfach da. Dann, einfach um irgendetwas zu tun, der Check: Ich hatte den Wecker zwar auf die richtige Zeit programmiert, aber auf Samstag statt Sonntag. GRRRRRR.
Karfreitag am Ostermorgen, quasi.
Mein Blick fällt auf das Kreuz aus Apfelbaumzweigen.
Ostern am Karfreitag, Karfreitag am Ostersonntagmorgen – und ich muss lachen über Gottes verdrechselten Humor, den ich wieder einmal erleben muss/darf.
Mir kommt ein Satz in den Sinn, Bischof Felix Gmür hatte ihn in der Corona-Zeit gesagt: “Planungssicherheit ist kein Bestandteil unseres Glaubens.” – Das Ego in mir entgegnet: “Ja, Recht hast du, aber schweigen solltest Du.”
Denn natürlich hatte ich selber – Anderen gegenüber – den Satz auch schon gesagt. Nun wird er also ärgerlicherweise zu meiner eigenen Osterherausforderung.
Später, nach einer weiteren Stunde Schlaf, Bachs Osteroratorium erfüllt den Raum, meine Partnerin Anne hat mittlerweile vom Ostergottesdienst erzählt, den ich verschlafen hatte, und ich schreibe diese meine Ostergeschichte auf, zwischen Schmunzeln und Kopfschütteln.
Bei den letzten verbliebenen Ärgerschwaden gelingt es mir, zwischen den krummen Zeilen die gerade Osterbotschaft zu lesen. Ich schaue zum Osterzweigkreuz meines Apfelbaums. Ja, das ist Ostern.