Hat Gott das Parteibuch gewechselt? Nach jahrzehntelanger Mitgliedschaft bei der CVP scheint er jetzt bei der SP eingetragenes Mitglied zu sein. …oder doch nicht?
“Gott ist ein Linker” verkündete der Nationalrat. Sofort kam der Medien-Konter: “…oder ist Gott ein heimlicher SVP-Sympathisant? Oder gar ein Wechselwähler?“
Plötzlich war der persönliche Glaube ein Medien-Thema. Politiker, die sich auf die Bibel berufen, sind erfrischend, meinte die Basellandschaftliche Zeitung. Andere wiederum warnen, die Religion verkomme zu einer Partei, wenn sie tagespolitische Parolen fasse. Grund genug, genauer hin zu schauen.
Die Linke hat wahrlich ein starkes Argument auf ihrer Seite: “Gott ist immer für die Armen.” Der Nationalrat lässt sich denn auch nicht vor einer Kirche abbilden, sondern vor einem Heim für Randständige. Er hat also den Tatbeweis schon mal erbracht.
Welche Armen?
Also Gott für die Armen. Nur – für welche Armen? Ist ein glücklicher Mensch mit 2000.- Einkommen “ärmer” als ein depressiver Millionär? Oder ist nicht eigentlich der Millionär ein armer Teufel – und Gott folglich auf seiner Seite? Und: wenn Armsein auf “wenig Geld” reduziert wird, erliegen die Linken nicht genau dem Materialismus, den sie zu bekämpfen vorgeben?
Die Bibel zeigt anfangs aber anderes. Da brechen Adam und Eva eine Regel, die man sehr wohl kritisieren könnte: Gottes Verbot, Früchte vom Baum des Lebens zu nehmen scheint heute weder politisch korrekt noch pädagogisch wertvoll. Bekommen die Fehlbaren deshalb eine “zweite Chance”? Mildernde Umstände? Möglichkeit zur Wiedergutmachung (zB mit sozialen Einsätzen im Dienste der Tiere)? – Nein, nein, nein. Gott nimmt die Selbstverantwortung der Menschen radikal ernst und vertreibt sie gnadenlos aus dem Paradies. Die SVP könnte es nicht besser fordern.
Menschen statt Programme
Und Jesus? Bei den Priestern im Tempel stellt er einen Kranken in die Mitte (Markus 3,1-6) – ein Sakrileg; Jesus hält sich nicht an Essregeln, wenn er Hunger hat (Markus 2,23); als hunderte von Menschen die Strassen säumen, um ihn zu sehen, lässt sich Jesus vom Abzocker Zachäus zum Essen einladen (Lukas 19, 1-10). Von den Asketen (heute wären das wohl die Veganer) wird Jesus als “Fresser und Säufer” verschrien. – “Der isst Fleisch ohne ökologisches Bewusstsein und nimmt an Besäufnissen teil”, muss man das in heutige Sprache übersetzen.
Skandalös? Ja, genau. Es ist genau diese Verweigerung eines “Parteiprogrammes”, die Jesus so gefährlich macht. Als “Partei” hätte man Jesus schubladisieren können, vielleicht hätte er sich so die Kreuzigung erspart.
Keine Gruppierung wird von Jesu Kritik ausgenommen, nicht einmal die eigene Jüngerschar. Darum hatte Jesus keine tragfähige Lobby. Römer, Pharisäer, Zeloten: ihnen allen stand Jesus auf die Zehen, ihnen allen zeigte er ihre blinden Flecken. Wen wunderts, dass sich niemand mehr für ihn einsetzte, als es hart auf hart ging?
Gegen den schnellen Durchmarsch
Jesus setzte sich nicht für ein garantiertes Grundeinkommen ein, sondern bringt immer die ins Gespräch, die ich gerne vergesse. Er wirft mir Knebel zwischen die Beine, so dass der schnelle Durchmarsch meiner Ideen unmöglich wird. Jesus zwingt mich, nachzudenken.
Jesus sah sein Gegenüber an, nahm den Menschen ernst und spürte dessen blinde Flecken: Die Verzweifelten ermutigte er, vom zerfressenden Zweifel zu lassen. Den Eingebildeten führte er vor, dass ihr schmuckes Gedankenschloss auf Sand steht. Die Korrekten provozierte er damit, dass er sich mit den Halsabschneidern zu Tisch setzt, und die Unkorrekten mahnte er zu Fairness.
Heute sähe das vielleicht so aus:
– Auf dem WEF in Davos portiert er die Putzfrau als Rednerin.
– Auf der Kirchenkonferenz schlägt er den CEO eines Chemie-Multis als Präsident vor.
– Der CVP und EVP empfiehlt er die atheistischen Freidenker als Koalitions-Partner.
– Der SP-Kandidatin legt er einen Abzocker als Berater ans Herz.
– Bei der SVP schleust er einen Asylbewerber als Wahlstrategen ein.
Die eigenen blinden Flecken
Skandalös? Ja, genau. Sobald ich mit dem Finger auf Andere zeige und ihm die Menschlichkeit abspreche, stellt sich Jesus auf seine Seite. Auf die Seite des Abzockers, des bösen Nachbars, des Machos, der Feministin, des Kardinals, des Versagers. Alle diejenigen, die ich am Tisch lieber nicht dabei haben möchte, all die lädt Jesus vor meinen Augen an seinen Tisch ein.
Die schönen Geschichten von den geadelten Aussenseitern sind vor allem eins: explosive Provokationen gegen die Selbstgenügsamkeit. Sie zwingen uns, die eigenen blinden Flecken anzusehen, und deshalb sind sie politisch unbrauchbar. Jesus lässt sich nicht zum Komplizen unserer Machenschaften machen.
“Gott ist ein Linker” können also Alle sagen, ausser die Linken selber. Gott das eigene Parteibüchlein zu unterschieben, ist unchristlich.
Glaube ist Demokratie-Garant
Der Glaube trägt ein höchst demokratisches Potenzial in sich: Denn er dient nicht als Legitimation für mein eigenes Programm. Der Glaube ist die permanente Forderung zur Selbstkritik.
Gläubige wissen, dass andere Menschen immer Göttliches in sich tragen. Echter Glaube ist deshalb der Garant dafür, sachliche Auseinandersetzungen als gemeinsame Suche zu verstehen. Umgekehrt ist der Glaube das Verbot, Menschen aufgrund ihres Lohnkontos oder ihrer Parteizugehörigkeit abzuschreiben. Denn vielleicht isst Jesus heute gerade bei ihnen zmittag. Skandalös? Ja. Das Christentum ist immer wieder ein Skandal für die Satten.