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Der Heilige und der Fasnachtsgeist

Für die Einen ist es ein Anlass, um die Stadt fluchtartig zu verlassen, für die Anderen ist es „wie Weihnachten“; die Einen klagen „Unmoral“, die Anderen frohlocken „Kreativität“; die Einen halten das Ganze für „militärisch“, die Anderen baden im Chaos; die Einen urteilen „Gesaufe“, die Andern schweben drei Tage lang wie dereinst Hildegard von Bingen in anderen Sphären: die Basler Fasnacht lässt in der Region kaum jemanden kalt.
Doch was ist er, dieser vielbeschworene Fasnachtsgeist, und verbindet ihn gar etwas mit dem Heiligen Geist der christlichen Religion?

Morgestraich - ein "liturgischer" Moment der Fasnacht.
Morgestraich – ein “liturgischer” Moment der Fasnacht.

Urkatholisch

Halten wir zuerst fest: Die Fasnacht ist etwas ur-katholisches (es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass gerade Basel die einzige reformierte Stadt mit einer Fasnachtstradition ist). Bereits im Hochmittelalter gab es in den Tagen vor der Fastenzeit den kirchlich geduldeten Brauch, noch einmal so richtig Spass zu haben. „Die Sau ‘rauslassen“ und „das Geld zum Fenster ‘rausschmeissen“ waren damals reale Fasnachtsbräuche! Nur gegen die extremen Auswüchse der Fasnacht wehrte sich die Kirche. Ansonsten wusste sie, dass die Fasnacht den Menschen gut tut und dass ein ausgetobter Geist sich besser auf die bevorstehende besinnliche Fastenzeit einlassen kann.

Kreativität

An der Basler Fasnacht fällt zuerst einmal die enorme Kreativität auf: Larven, Costumes, Laternen, Wagen, aber auch die Zeedel, Laternenverse, Schnitzelbänke und zahllose Aktionen von Einzelmasken zaubern ein wahres Feuerwerk an menschlichem Reichtum in die Fasnachtszeit, sozusagen die Menschheit in Hochform. Im Glauben daran, dass der Mensch Abbild von Gott ist (Genesis 1,27), ist die Aussage nicht verfehlt, dass indirekt auch viel göttliche Kreativität am Werk ist (vgl. Weish 8).

Ich darf sein, wie ich bin.

Bischof Kurt Koch pflegt zu sagen: „Die Basler müssen immer erst eine Larve anziehen, um ihre Masken ablegen zu können.“
Ja: An der Fasnacht darf ich sein, wie ich bin, darf jederzeit laut herauslachen, herumspringen, kindisch sein, in farbigen Kleidern herumlaufen, ohne ständig überlegen zu müssen, was diese oder jene Person von mir denkt.

Die Basler Fasnacht lebt von den bitterbösen Sujets. Dies gehört zu den ältesten Fasnachtstraditionen.
Die Basler Fasnacht lebt von den bitterbösen Sujets. Dies gehört zu den ältesten Fasnachtstraditionen.

Und manch EineR spürt gerade während der Fasnacht, dass es ihm oder ihr auch wohl täte, durchs Jahr hindurch ein wenig gelöster zu sein.

 Konflikte? Kein Problem!

Soviele Menschen drängen sich in den engen Gassen, da gibt es Gedränge, Geschubse; in den Cliquen läuft immer vieles nicht wie geplant, aber es ist wie ein Wunder: kaum je werden so schnell so gute Lösungen für alle möglichen Probleme gefunden wie während

der Fasnacht – als wüssten alle, dass die Fasnacht viel zu kurz ist, um sich zu lange bei einem Streit aufzuhalten. Ohne diese riesige Toleranz aller Aktiven und Passiven wäre Fasnacht nicht möglich.

Göttliches Lachen, bissiger Humor

Die fasnächtliche Gelöstheit hilft auch, Abstand vom Alltag zu gewinnen, einmal herzlich auch über das zu lachen, was eigentlich zum Heulen ist.
Genau dies ist auch eine der grössten christlichen Tugenden: im Wissen um die Ewigkeit den Alltag nicht ernster nehmen als notwendig.
Das heisst nicht, sich aus der Realität zurückzuziehen, aber es bedeutet, meine Alltagssorgen mit einer guten Portion Humor anzupacken.

Und gerade darin unterscheidet sich ja die Basler Fasnacht von allen anderen Fasnachten: das Ausspielen von bissigen Sujets und träfen Schnitzelbänken ist ein unverzichtbarer Teil in Basel und die Bedingung, dass die Basler Fasnacht mehr ist als bloss eine dreitägige „Welle“ und purer Selbstzweck.

Nicht mehr Herr und Sklave…

Farbe, Freude, Dynamik, Überzeichnung - alles verdichtet sich im "Waggis"
Farbe, Freude, Dynamik, Überzeichnung – alles verdichtet sich im “Waggis”

Sei es in den Beizen, sei es am Strassenrand, oder von einem Wagen hinunter: An der Fasnacht gibt es nicht mehr Bankdirektor und Hilfsarbeiter, nicht mehr Juristin und Sekretärin, es gibt nur Fasnächtler. Die standesübliche Kleidung hat dem Fasnachtscostum Platz gemacht, JedeR redet mit Jedem und Jeder, und zwar per Du.

Fasnacht als Symbol für das Reich Gottes?

Ganz ähnlich ist dies, wenn Paulus in seiner Vision vom Reich Gottes schreibt: es gibt nicht mehr Sklaven und Herrscher, weil alle Eins sind in Christus. (Gal 3,28)
Nimmt man die göttliche Kreativität, die Toleranz bei allen Unwägbarkeiten dazu, die Fähigkeit, über sich selber zu lachen, und den Mut, mehr sich selber zu sein, dann kommen wir dem biblischen Bild vom Reich Gottes schon sehr nahe.

Ist das nicht ein zu rosiges Bild der Fasnacht? Es ist ein Bild dafür, was den „Fasnachtsgeist“ ausmacht; ganz ähnlich, wenn wir von der Kirche als Symbol des Gottesreiches reden, im Wissen darum, dass die Realität (leider) manchmal anders aussieht.

Und wenn es uns gelingt, den Fasnachtsgeist ein wenig zu verinnerlichen, dann haben wir sicher nicht das ganze Jahr Fasnacht, aber vielleicht ein kleines Stück mehr Reich Gottes.

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